Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
leichten, flauschigen Stoff und fühlte sich in dem feuchtkalten Raum angenehm warm an. Die Matratze war dagegen dünn und knubbelig. Sie rutschte hin und her und versuchte, es sich einigermaßen bequem zu machen.
Sie schloss die Augen und dämmerte gerade ein, als unten im Dorf erneut die langsamen Trommelschläge erklangen. Auch der klagende Gesang, den sie am Nachmittag schon gehört hatte, ertönte wieder. Nun würde sie garantiert nicht einschlafen können. Sie setzte sich auf und griff nach dem Reiseführer, dem einzigen Lesestoff, den sie zur Hand hatte. Hoffentlich hielt die Kerze in der Lampe bis zum Morgen durch! Wie sollte sie das nur eine ganze Woche aushalten?
Als sie aufwachte, lehnte sie zusammengesunken an der Wand, mit dem aufgeschlagenen Buch im Schoß. Auf ihrer Uhr war es halb sieben. Langsam sah sie sich in dem kargen kleinen Zimmer um und versuchte sich zu erinnern, wo sie war. Im Licht des frühen Morgens sah sie, dass jemand das Tablett vom Abend zuvor weggenommen und dafür ein weiteres Tablett auf den kleinen Tisch gestellt hatte. Diesmal waren es Kaffee, heiße Milch und warmes Mandelbrot. Sie hatte ein schlechtes Gewissen – ihre Eltern würden einen Anfall bekommen, wenn sie sich von alten Damen wie vom Zimmerservice im Hotel bedienen ließe.
In diesem Moment hörte sie flüsternde Stimmen. Sie horchte am Fenster. Stand da jemand auf der anderen Seite der Schlagläden? Dann klopfte es an der Tür. Menina wandte den Blick vom Fenster in den Raum und merkte, wie ihr Atem stockte. Mitten im Zimmer sah sie eine Schar von Mädchen. Sie trugen ausladende Röcke aus dunklem Stoff und weiße Halskrausen, wie sie im sechzehnten Jahrhundert typisch waren, und hatten sich wie zu einem Gruppenfoto aufgebaut. Sie sahen sie mit flehenden Augen an. »Sala grande … locutio sala … sala de las ni ñ as … jard í n de peregrinos« , hörte sie junge Stimmen flüstern.
»Was? ¿Qu é ? « Menina rieb sich die Augen und schaute noch einmal hin, doch alles, was sie sah, waren Staubkörner, die im streifigen Sonnenlicht tanzten. Stress und Jetlag konnten seltsame Dinge anrichten.
Sor Teresa kam durch die Tür gehumpelt und bellte: »Deo gratias.« Sie sagte, Menina könne mit ihnen zur Messe gehen, während sie hier sei – die Klosterkapelle hatte eine Eingangstür, die jeden Morgen für die alten Damen entriegelt wurde, die zur Messe kamen. Menina konnte sich zu ihnen setzen.
Menina lehnte ab und erklärte, sie sei keine Katholikin. Bevor sie anbieten konnte, ihr Tablett in die Küche zu tragen, wo immer sie auch sein mochte, und das Geschirr zu spülen, hatte Sor Teresa es schon gepackt und erklärte barsch, es sei Zeit für die Vigil.
Menina holte das Päckchen mit Zahnbürste und Zahnpasta aus ihrem Rucksack, das sie im Flugzeug bekommen hatte, außerdem ein Stück Seife, wie man sie in Hotelbadezimmern findet, und wusch sich todesmutig im eiskalten Wasser aus der Pumpe. Dann zog sie sich an, versuchte, noch ein wenig in ihrem Reiseführer zu lesen und wartete ansonsten ab, ob Sor Teresa oder sonst jemand kommen und mit ihr über die Gemälde reden würde. Doch bald entschied sie, dass sie nicht ewig ohne irgendeine sinnvolle Beschäftigung in diesem kleinen Zimmer sitzen konnte. Vielleicht sollte sie sich selbst auf die Suche nach den Bildern machen. Sie wünschte, Becky wäre hier.
KAPITEL 5
Kloster Las Golondrinas, Spanien, April 2000
Das Kloster schien aus einem Gewirr von Korridoren zu beste hen. Durch die Spalten in den Wänden und Decken pfiff der Bergwind, Vögel flogen ein und aus, tschilpten und bauten Nester unter dem Dach. Das einzige Licht kam durch vergitterte Fenster, die hoch oben in die Mauern eingelassen waren. Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah Menina, dass die Wände über und über mit verblichenen Karten mit religiösen Motiven bedeckt waren. Außerdem hingen dort getrocknete Blumen, grellfarbige Bilder von Madonnen, der Heiligen Teresa von Avila, Herz-Jesu-Bilder, Lithografien diverser Päpste und schlecht gemalte Heiligenbilder. Menina vermutete, dass die meisten Bilder aus der Mitte des neunzehnten oder dem frühen zwanzigsten Jahrhundert stammten und kaum etwas wert waren. Sie wusste genug, um ihre eigenen Grenzen zu kennen, doch ihr Studium in Holly Hill hatte ihren Blick geschärft. Die Sachen, die hier an den Wänden hingen, waren Ramsch.
Sie ging einen Korridor nach dem anderen entlang, an offenen Türen vorbei, hinter denen sie
Weitere Kostenlose Bücher