Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
anderen tot. Ist viele Jahre her, als ich ein Junge war, da kamen noch ein paar Pilger, aber seit langer Zeit nicht mehr. Aber es gibt Räume, wo Pilger und Reisende schlafen konnten. Darum bringe ich Sie hierher.«
»Vielleicht war das keine gute Idee. Es kommt niemand zum Tor«, meinte Menina beunruhigt. Sie schwankte, was besser war: in diesem unheimlichen Gemäuer Schutz vor den Männern auf dem Platz zu suchen oder sich zu weigern, auch nur einen einzigen Fuß hineinzusetzen. »Wir sollten sie nicht belästigen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Nonnen sind da, hören nur schlecht. Immer man muss warten und ein paar Mal läuten, bis sie hören.« Wieder zog er am Glockenstrang. »Außerdem ist gut für sie, wenn ein Besucher über Bilder Bescheid weiß.«
»Warum?«
»Weil die alten Klöster wie dieses hier, sie haben Bilder. Wenn Sie hier übernachten, können Sie helfen. Sie können sehen, ob es Bilder gibt, die etwas wert sind, die die Nonnen verkaufen können. Dann könnten sie heizen, die kranken Nonnen könnten Pfleger haben und Medizin, ein paar Sachen könnten repariert werden.«
»Das hört sich nach einer guten Idee an, aber ich bin wirklich keine Expertin. Sehen Sie, ich bin erst im Junior College! Was Sie brauchen, ist ein Spezialist.« Sie tastete nach der Karte in ihrer Hosentasche. »Und es gibt eine Spezialistin, eine berühmte Frau, sie ist unsere Reiseleiterin, Professor Lennox. Sie ist eine halbe Spanierin, glaube ich. Und ich könnte sie anrufen, ich müsste nur irgendwo ein Telefon finden«, bettelte Menina. Wie konnte es sein, dass es überhaupt keine Telefone gab? »Ich habe ihre Handynummer.«
»Aber ich sage Ihnen doch, gibt kein Telefon. Hier gibt es noch nicht einmal elektrischer Strom. Aber versuchen Sie, bitte. Ist gut, wenn Sie etwas finden, aber wenn nicht, dann können Sie nichts machen. Machen Sie sich keine Sorgen. Sor Teresa spricht ein bisschen Englisch. Hat sie als Mädchen gelernt, Sie können sie fragen.«
Kein Telefon, kein Strom. Großartig! Aber er hatte »bitte« gesagt …
In diesem Moment öffnete sich das vergitterte Fenster. Eine hohe alte Stimme rief »Aha!« und fragte ärgerlich, wer da die Glocke läute. Und sie habe um diese Uhrzeit keine polvor ó nes , fügte sie hinzu.
»Ah, Sor Teresa«, sagte Hauptmann Fern á ndez Gal á n und nahm seine Kappe ab. Plötzlich klang er höflich und respektvoll. Er wünschte der Sprecherin einen guten Abend, sprach sie mit »Tia« – Tante – an und setzte in rasend schnellem Spanisch zu einer Erklärung an. Aus den Bruchstücken, die Menina mitbekam, konnte sie sich zusammenreimen, dass er sagte, er habe ein nettes amerikanisches Mädchen bei sich, das leider ausgeraubt worden sei und seinen Bus verpasst habe, ein sehr nettes Mädchen, das bis nach Ostern irgendwo übernachten müsse. Und ob dieses nette Mädchen nicht in einem der Pilgerzimmer schlafen könne.
Das Gitter schloss sich und dann hörte man, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde. Die schwere Holztür öffnete sich einen Spalt und Menina erspähte eine gebeugte Gestalt, eine alte Frau in Nonnentracht, die eine Laterne in der Hand hielt. » Deo gratias , Alejandro«, begrüßte sie den Hauptmann mürrisch. Sie schien nicht erfreut, ihn und Menina zu sehen, und murmelte etwas davon, dass sie gerade bei der Abendandacht seien.
Der Hauptmann erklärte. Menina versuchte zu verstehen, was er sagte. Sie hörte ihren Namen und die Wörter »Madrid« und »Malaga« und »Studentin«. Er wollte gerade etwas über die Gemälde im Kloster sagen, als Sor Teresa ihn unterbrach, so als schelte sie einen kleinen Jungen. Ihre hohe alte Stimme sagte etwas in abgehacktem Spanisch, das sich für Menina anhörte wie, nein, sie würden nicht schon wieder eine seiner Frauen aufnehmen … die letzte war … kam und ging, wie es ihr gefiel, zu jeder Tages- und Nachtzeit … sehr störend … schockierend … Zigaretten … kurze Röcke. Menina hörte sie das Wort »Hippies« ausspucken.
Sor Teresa verstummte einen Moment, um Atem zu holen. Hauptmann Fern á ndez Gal á n wiederholte seine Bitte und entschuldigte sich dafür, dass das letzte Mädchen sich nicht gut benommen habe. Und er schwöre bei dem Grab seiner Eltern, dass er Menina noch nie zuvor gesehen habe. Ein nettes Mädchen.
Menina staunte, dass der Hauptmann sie als »nettes Mädchen« vorstellte. Vor einer knappen Stunde hatte er sie noch als Prostituierte bezeichnet. Und hatte der Hauptmann etwa die
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