Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Angewohnheit, seine Freundinnen vorübergehend im Kloster unterzubringen? Wie seltsam. Aber sie brauchte einen Schlafplatz. Menina beugte sich vor und versicherte der Nonne in ihrem besten Spanisch, dass sie keine Freundin des Hauptmanns und kein Hippie sei, dass sie nicht rauche, nirgendwo hingehen wolle und niemandem Probleme bereiten würde. Und könnte sie bitte, bitte bleiben, bis der nächste Bus nach Madrid fuhr? Sor Teresa starrte Menina an, als könnte sie geradewegs durch sie hindurchblicken, dann zog sie die Tür ein Stück weiter auf, packte sie nicht allzu sanft am Arm und zerrte sie hinein.
Der Hauptmann fügte noch hinzu, dass sie Menina die pinturas im Kloster zeigen solle und ob Sor Teresa bitte Englisch sprechen könne – doch Sor Teresa beachtete ihn gar nicht und schob das Tor zu. Er schaffte es gerade noch, Meninas Rucksack durch den Spalt zu schieben und seine Hand im letzten Moment zurückzuziehen, bevor es zuschlug.
Sor Teresa verriegelte das Tor und wandte sich zu Menina. »Sie bleiben«, sagte sie kurz angebunden, »in Kloster. Nicht aus dem Kloster gehen zu Männer! Keine Männer.«
»Ja, Ma ’ am!«, erwiderte Menina und griff müde nach ihrem Rucksack. Keine Männer war genau das Richtige für sie. »Selbstverständlich … s í … comprendo .«
»Hmpf«, schnaubte Sor Teresa. Sie klang nicht überzeugt. Dann hob sie die Laterne hoch über den Kopf und humpelte mit überraschender Geschwindigkeit voraus. Die Lampe tauchte sie in schwankendes Licht, während sie Menina durch ein Gewirr aus Korridoren führte. Menina sah zerbrochene Bodenfliesen und verschlossene Türen, doch außerhalb des Lichtkegels lag alles in undurchdringlicher Dunkelheit. Außer ihnen beiden war keine Menschenseele zu sehen. Es roch nach Moder und Staub und eine Maus oder etwas anderes huschte vorbei.
Schließlich blieb Sor Teresa in einem Korridor stehen und drückte eine der Türen auf, die sich knarrend öffnete. Sie hielt die Laterne hoch. »Hier«, sagte sie auf Spanisch. Der Raum war eine kleine, dumpf riechende, weiß getünchte Zelle. An einer Wand hing schief ein Kruzifix, darunter stand ein hölzernes Gestell zum Hinknien. Das Fenster war mit Schlagläden verschlossen, auf dem Bett lagen vergilbte Laken und eine zusammengefaltete Decke. Die bestickten Kissenbezüge waren geflickt. Unter dem Fenster standen ein Stuhl und ein kleiner Tisch mit einer Sturmlampe. Schwester Teresa fuhr mit dem Saum ihrer Tracht über die Tischplatte und sagte: »Por alimento.« Aus einer Tasche zog sie zwei Kerzenstummel und eine Streichholzschachtel hervor, zündete eine der Kerzen an und steckte sie in die Sturmlampe. Dann reichte sie Menina die andere Kerze und die Streichhölzer. »Gracias« , sagte Menina und gab sich Mühe, nicht so entgeistert zu klingen, wie sie sich fühlte. Sor Teresa winkte ihr, sie solle ihr in den dunklen Korridor folgen. Dort schob sie eine weitere knarrende Tür auf. »Servicios« , sagte die alte Nonne. »Toilette.«
»Oh …«, sagte Menina zögernd. Sie hielt ihre Kerze hoch und konnte ein Loch im Boden und einen Stapel alter Zeitungen ausmachen. An der gegenüberliegenden Wand sah sie eine rostige Pumpe über einem altertümlichen Steinwaschbecken in einem Metallgestell. Kein elektrischer Strom und nun das! Sor Teresa war verschwunden. Da Menina inzwischen dringend pinkeln musste, benutzte sie die primitive Toilette und riss Stücke aus dem Zeitungspapier, das vermutlich als Toilettenpapier herhalten sollte. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Pumpe mit lautem Ächzen einen eiskalten Wasserstrahl über ihre Hände spülte.
Als sie sich durch den dunklen Korridor zu ihrem Zimmer zurücktastete, ließ ein Luftzug die Kerzenflamme bedrohlich flackern. Ihr Schatten tanzte gespenstisch im zuckenden Lichtschein. Sie war erleichtert, dass aus der offenen Tür ihres Zimmers ein schwaches Licht schimmerte. Auf dem Tisch stand ein Tablett, das mit einem Leinentuch abgedeckt war. Jemand hatte ihr Abendessen gebracht! Unter dem Tuch sah sie eine Tonschale mit Suppe, die einen unverkennbaren Knoblauchgeruch verströmte, Brot, Käse und eine kleine Karaffe mit Rotwein. Menina merkte plötzlich, wie hungrig sie war. Auf der heißen Suppe schwamm ein pochiertes Ei und sie war köstlich. Sie wischte die Schale mit dem Brot aus und spülte den Käse mit dem Wein hinunter.
Menina zog sich aus und wickelte sich in den Reisebademantel, den ihre Mutter in den Rucksack gepackt hatte. Er war aus einem
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