Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Hände. »Kopiert das Evangelium in die Mitte des Buches – in lateinischer Sprache, so wie es jetzt ist – und schreibt unsere Chronik um diese Seiten herum, so wie unser Orden das heilige Buch umfängt. Und wenn alles zusammen in einem Buch steht, wird es verständlicher für denjenigen, der es vielleicht in ferner Zukunft einmal liest. Lasst die Magd das Skriptorium ausfegen und sagt ihr, dass sie die Fetzen ins Feuer werfen soll, wenn Ihr sie kopiert habt.«
Getreu der Wünsche der Äbtissin arbeitete ich bei Tageslicht und bei Kerzenschein, um diesen Bericht des letzten Erscheinens unserer Gründerin zu retten:
1470 Anno Domini. Friede … allen … lesen … Herrschaft des Abu l-Hasan Ali, Sultan von Granada … die Äbtissin eine Vision … Gründerin … Nachricht … Infanta Isabel von Kastilien trotzte König Enrique … Infante Fernando … von Aragon … Spanien … Gottes Königreich … Mauren geschlagen und vertrieben … Königin Isabel … Pilgerreise nach Las Golondrinas … die karthagische Straße … Hütet euch … die Inquisition wird … denkt an das Schicksal der Katharer … Carcassonne … Gran Canaria … einer Mission das Evangelium … die Medaille.
Die Äbtissin und ich deuteten diese Worte als eine Warnung vor dem Interesse der Inquisition an Las Golondrinas, das mit der Verbindung der Königin mit dem Kloster zu tun hatte. Königin Isabel hatte tatsächlich eine Pilgerreise hierher unternommen, nach der endgültigen Niederschlagung der Mauren. Um den Mut eines christlichen Ordens zu würdigen, der durch Jahrhunderte der muslimischen Dunkelheit hindurch das Licht des Glaubens am Leben erhalten hatte, schwor sie, Las Golondrinas unter ihren besonderen Schutz zu stellen. Bis heute sind königliche Damen unsere Gönnerinnen und Beschützerinnen, doch unsere Gründerin wollte uns gewiss an das Schicksal der »ketzerischen« Katharer erinnern, als das »katholische« Heer Carcassonne zerstörte und alle verbrannte und henkte, die nicht widerriefen. Wollte die Gründerin uns warnen, dass wir zum Schutz der Medaille und des Evangeliums eine Mission in Gran Canaria errichten sollten?
Aber wann? Und wie?
Sommer 1509
Im Frühjahr und Sommer, wenn die Straße passierbar ist, die auf den Berg führt, kommen die Kinder. Heute empfingen wir zwei. Sie haben sehr feine Kleider und sind beide ungefähr ein Jahr alt. Ich halte die Höhe ihrer Mitgift in der Mitgiftliste fest. Wir haben keine weiteren Auskünfte, die wir unseren Aufzeichnungen hinzufügen könnten. Die Kinder haben keine Namen, bis auf die, die wir ihnen geben. Es heißt, die Vorkehrungen, um sie in großer Heimlichkeit vom Hofe wegzubringen, würden von einer Reihe von Schurken getroffen, die als Mittelsmänner dienen, sodass niemand weiß, wo die Kinder schließlich Aufnahme finden. Die meisten befinden sich in der Obhut von bäuerlichen Ammen, die uns nichts über ihre wahre Herkunft sagen können.
Arme namenlose Unschuldige. Sehnen sich die Mütter, so sie denn leben, nach ihren Töchtern? Ich stelle mir vor, so von Salomé getrennt sein zu müssen, und danke Gott jeden Tag für die Zuflucht, die wir hier gefunden haben. Die Nachricht hat mich erreicht, dass mein Vater nun glaubt – vielleicht, weil er durch einen der Diener davon Kenntnis erhielt –, dass ich ein Kind erwartete, als er mich hier zurückließ. Er hat Rache geschworen, doch ich vertraue auf den Schutz Gottes.
Winter 1510
Es ist ein harter Winter. In den Bergen schneit es unablässig. Und doch ist im Garten der Pilger wie durch ein Wunder die Quelle nicht eingefroren.
Salomé nimmt mit den anderen Mädchen im Schulzimmer am Unterricht teil und lernt die Gebete in lateinischer Sprache und die Zahlen. An einem behelfsmäßigen Tisch aus Holzbrettern spielt sie »Schreiben«. Sie möchte mir alles nachmachen und sitzt da, während sich ihr liebliches Gesicht vor Konzentration verzerrt, und übt Buchstaben. Dann sieht Salomé zu mir auf und ein Lächeln lässt ihr Gesicht leuchten – so wie es einst das Gesicht ihres Vaters leuchten ließ, wenn ich morgens ins Schulzimmer kam.
Von wundersamen Ereignissen ist zu berichten. Am Dreikönigstag war der Himmel voller Sternschnuppen, an drei aufeinanderfolgenden Nächten. Trotz der Kälte blühte ein Mandelbaum und Leute aus der Gegend erzählen, dass sie feurige Drachen am Himmel gesehen haben. In den Dörfern herrscht bitterer Hunger und die Äbtissin und die Schwester, die die Vorräte verwaltet, verteilen
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