Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Livree und vielen Jesuiten eskortiert. Die Prinzessinnen ließen in der Kapelle eine Trauermesse für ihre Großeltern lesen, Isabel und Fernando, und für ihre verwitwete Mutter, Königin Juana, die in einem Kloster in Tordesillas eingesperrt ist. Nach dem Geschwätz der Kammerzofen bewahrt sie, seit sie vor langen Jahren zur Witwe wurde, den konservierten Leichnam ihres Mannes in ihrer Zelle auf, um Gesellschaft zu haben. Sie beschreiben sie als geistig verwirrt. Andere sagen, dass die Geschichte mit dem Leichnam ihres Gatten erfunden ist, dass sie bei Verstand ist und gegen ihren Willen als Gefangene festgehalten wird. Die Arme! Eine Frau ist der Macht der Kirche und weltlicher Autoritäten hilflos ausgeliefert, wenn sie sie für verrückt oder schwach oder beides erklären, um so zu begründen, warum man sie beiseiteschafft.
Die Prinzessinnen blieben drei Tage lang bei uns. Sie nahmen am täglichen Leben im Kloster mit seinen Messen, Gebeten und Mahlzeiten teil und setzten sogar Strohhüte auf, um in unserem Garten Gemüse zu ernten. Die Kinder aus dem Waisenhaus sangen ihnen eine Hymne, die recht schön klang, wie wir fanden, und dann gaben sie jedem Kind eine Goldmünze. Auch Salomé bekam eine solche Münze, weil sie annahmen, dass sie eines der Waisenmädchen sei. Die Prinzessinnen erneuerten das Versprechen ihrer Großmutter und versicherten, das Kloster stünde unter ihrem besonderen Schutz. Vor ihrer Abreise überreichten sie dem Kloster ein großzügiges Geschenk. Die drei Tage haben die Äbtissin erschöpft.
Salomé sitzt den halben Tag bei mir. Mit ihren Aufgaben ist sie vor den anderen Mädchen fertig und dann wird sie unruhig. Latein und Griechisch fallen ihr leicht und sie versteht nun auch ein wenig Italienisch und Französisch. Ich sage ihr, dass sie still sitzen und schreiben üben muss, und erkläre ihr, wie wichtig es ist, sauber und gleichmäßig und leserlich zu schreiben. Und ohne Tintenkleckse – trotz ihrer tränenreichen Beteuerungen, dass das unmöglich sei. Sie stampft mit dem Fuß auf, wenn ich sie zwinge, bei Fehlern etwas noch einmal abzuschreiben, doch sie lernt, schön und gleichmäßig zu schreiben.
Die Äbtissin gibt Salomé kleine Aufgaben im Skriptorium, lässt sie den Gänsekiel nachspitzen oder die Tinte zubereiten. Und da Salomé gewissenhaft ist und sich immer die Hände wäscht, bevor sie ein Buch berührt, erlaubt die Äbtissin ihr, sich unsere wunderschön illustrierten Messbücher anzusehen. Unsere königlichen Gönnerinnen haben uns einige sehr schöne Bücher geschenkt, mit Goldschrift und Bildern von Heiligen und Engeln und der Jungfrau, Burgen, Rittern und Tieren, die so fein gemalt sind, dass sogar ihre kleinen Schnurrhaare erkennbar sind, von Feldern und Wäldern, Sonne und Mond und Sternen, in denen man einen Blick auf eine leuchtende himmlische Welt erhaschen kann. Salomé liebt sie ebenso sehr wie die Äbtissin und ich und hat inzwischen auch ein feines Gespür für die Gemälde im Kloster.
Viele der Bilder, die die Pilger uns schenken, mag sie nicht – im Vergleich zu unseren herrlichen Handschriften sind sie oft schlecht gemalt, ein Triumph des Glaubens über das Können, doch die Äbtissin besteht darauf, dass wir alle diese Geschenke aufhängen. Der dunkle Gang, durch den wir jeden Morgen auf unserem Weg zur sala de las ni ñ as gehen, ist voll mit den schrecklichsten Bildern.
Doch bisweilen gelangen feinere Bilder aus der Mitgift eines Waisenmädchens zu uns und Salomé hilft der Äbtissin die Gemälde auszusuchen, die in der sala de las ni ñ as aufgehängt werden sollen. Da sind Bilder von der Jungfrau und dem Kind und von Kinderheiligen. Oftmals zeigen sie den sanften Einfluss der italienischen Schule mit ihren wunderbar satten Farben, empfindsamen Gesichtern und exquisit gemalten Landschaften im Hintergrund, die die Wärme der göttlichen Gnade ausstrahlen. Die sala de las ni ñ as soll ein freundlicher Raum für die Waisenkinder sein.
Mit ihren fünfzehn Jahren ist Salomé groß für ihr Alter. Sie hat die dunkelblauen Augen ihres Vaters und Haar, das so golden ist wie meines einst war, bevor es abgeschoren wurde. Sie versteht nicht, warum sie noch nicht den Habit der Novizinnen tragen darf. Ich sage ihr, alles zu seiner Zeit, doch mein Herz ist in Aufruhr, wenn ich an ihre Zukunft denke. Ich habe als Nonne Frieden und Zufriedenheit gefunden, doch ich war einmal verliebt, und ich sehe, dass auch meine Tochter solcher Leidenschaft fähig ist.
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