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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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Geld.«
    Triumphierend zog Esperanza ihren Beutel mit den reales hervor, doch Mar í a schüttelte den Kopf. »Bauernlümmel mit reales ? Sie würden uns für Diebe halten und festnehmen!« Sie nahm eine der Münzen. »Hätte ich nie gedacht, dass ich mal einen real in der Hand halte! Don Jaime wird mir kleine Münzen dafür geben, wie Bauern sie haben.«
    Inzwischen achtete die Gouvernante nicht mehr darauf, ob Esperanza ihren Schlaftrunk zu sich nahm. Zehn Abende lang schüttete sie ihn in den zusätzlichen Nachttopf. Am zehnten Tag schlüpfte Mar í a in ihr Zimmer und schob ein nach Schweiß und Junge stinkendes Bündel unter ihr Bett. Am elften Tag regnete es heftig, doch zum Abend hin klarte es auf. Am Nachmittag kam Mar í a, um den Nachttopf mit dem Schlaftrunk zu holen und formte mit den Lippen die Worte: »Heute Nacht!« Als es Abend wurde zitterte Esperanza vor Angst und klapperte mit den Zähnen, sodass die Gouvernante die Stirn runzelte und meinte, sie müsse wohl wieder Fieber haben. Der Geruch von Krankheit stieg ihr in die Nase – das Kleiderbündel unter Esperanzas Bett – und so hielt sie Abstand.
    Bis die Gouvernante ihr Abendessen verzehrt und ihren Wein getrunken hatte und schließlich wie tot in ihrem Sessel zusammensackte, war die Kerze heruntergebrannt. Mar í a öffnete die Tür und flüsterte: »Schnell!«
    Sie trug geflickte Hosen und ein schmutziges Lederwams über einem zerlumpten Leinenhemd und hatte sich ihre Zöpfe abgeschnitten. Rasch zog Esperanza sich an, auch wenn sich die verdreckten Kleider unangenehm auf der Haut anfühlten. »Macht Euch die Hände und das Gesicht mit Wasser aus dem Krug nass und reibt Asche aus dem Kamin darauf«, wies Mar í a sie flüsternd an. Sie band Esperanza den Beutel mit den reales unter die Hose, sodass sich im Schritt eine Rundung abzeichnete. Esperanza sagte, es sei unbequem, doch Mar í a beharrte darauf, dass dies zu ihrer Verkleidung dazugehöre. Und weil Esperanzas Dialekt sie verraten würde, sollte Mar í a das Reden in ihrem ländlichen Dialekt übernehmen. Sie seien Bauernjungen, würde sie sagen, wenn sie gefragt würden, zwei Brüder, die in ihr Dorf zurückkehrten. Mar í a war der Klügere von beiden, Esperanza dagegen war ein schlichter Bursche, von Geburt an stumm. Esperanza schielte und kratzte sich dort, wo der Beutel hing, und Mar í a unterdrückte ein Kichern.
    Sie schlichen sich an dem schlafenden Wächter vorbei, öffneten die Tür und warteten, während erst eine Gruppe betrunkener Männer vorbeitorkelte und die Nachtwächter ihre Runde gedreht hatten. »Jetzt! Bleibt im Schatten«, befahl Mar í a. Sie hasteten in die Nacht, wohl wissend, dass der Wächter Alarm schlagen würde, sobald er aufwachte, und die Suche nach ihnen sofort beginnen würde.
    Dass diese Befürchtung zutraf, mussten sie schon bald feststellen. Wenn sie Halt machten, um sich einen Unterschlupf oder etwas zu essen zu suchen, selbst, wenn sie sich eine Fahrt auf einem Bauernkarren erbettelten, drehten sich alle Gespräche um die gestohlene Erbin und die Belohnung, die derjenige erhalten sollte, der sie ihrem Vormund wohlbehalten zurückbrachte. In einer Taverne, in der man ihnen aus Mitleid einen Kanten Brot und ein wenig Suppe gegeben hatte, gerieten sie in ernsthafte Gefahr. Sie kauerten im Schatten am Feuer, als eine Gruppe bewaffneter Wachen hereinkam und fragte, ob jemand die Erbin gesehen habe. Die Belohnung, von der sie sprachen, war sogar noch höher als die Summe, die zuerst versprochen worden war. Die Gespräche in der Taverne verstummten und Esperanza wartete entsetzt darauf, dass man sie den Wachen übergeben würde, vor allem, als einer der rauen Burschen sich laut lachend vorbeugte, ihr auf den Rücken schlug und rief: »Hier ist sie, Euer Ehren! Her mit der Belohnung!« Dann grölten alle vor Lachen über den schmutzigen Einfaltspinsel, der über seinem Brot sabberte und nickte und über den Witz grinste, während er sich eine Laus vom Kopf suchte und sie zwischen den Fingernägeln zerknackte.
    Ihre Reise war beschwerlich. Schon bald hatten sie Löcher in ihre Schuhsohlen gelaufen und wickelten sich Lumpen um die Füße, so gut es eben ging. Esperanza humpelte und sie ließen sich von Bauernkarren mitnehmen, wann immer es möglich war. Doch der Sommer war schon weit vorangeschritten, als sie die Ausläufer der Berge erreichten, die so viel näher zu sein schienen, als sie aufgebrochen waren. Sie waren zwei hungrige junge Mädchen und am Ende

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