Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
nicht, was ich fühlen soll«, sagte ich mit belegter Stimme.
Sie nickte. Wir gingen zu dem Felsen zurück und setzten uns wieder. Die Sonne brannte heiß auf uns herab, und ich rückte ein bisschen weiter nach hinten, um im Schatten der Bäume zu sitzen. Irgendwo in der Nähe sang eine Spottdrossel ein kompliziertes Lied und wiederholte es sechsmal. Hoch über uns kreiste ein Vogel mit einer enormen Flügelspannweite.
»Was für einer ist das?«, fragte ich.
»Ein Kurzschwanzbussard«, sagte sie. »Wäre es nicht wunderschön, fliegen zu können?« Ihre Stimme klang sehnsüchtig.
»Das Gleiche hat sich mein Vater auch gewünscht.« Ich dachte an den Abend im Salon zurück, als er mir seine Geschichte erzählte. »Es ist nicht immer eine Erlösung, die Wahrheit zu kennen, oder?«
»Doch, eigentlich schon.« Jetzt weinte sie nicht mehr.
Als die Sonne langsam westwärts wanderte, bemerkte ich, dass meine Mutter keinen Schatten warf. »Du bist also eine von uns?«
»Wenn du damit das meinst, von dem ich denke, dass du es meinst, ja.«
Sie berichtete mir, dass Malcolm seinen Teil der Abmachung eingehalten hatte. Anschließend kümmerte er sich einen Monat lang um sie, bis sie kräftig genug war, um für sich allein zu sorgen. »Es war der schlimmste Monat meines Lebens.« Sie sagte es ohne jede Gefühlsregung. »Manchmal glaubte ich, dich weinen zu hören, und meine Brüste schmerzten. Am liebsten wäre ich tot gewesen.«
»Aber du bist nicht gekommen, um mich zu holen.«
»Nein. Malcolm sagte mir, es wäre besser, wenn du bei dei nem Vater aufwächst - du würdest eine spezielle Betreuung
benötigen. Und ich wusste, dass Raphael den Gedanken, dass ich ein Vampir geworden war, unerträglich gefunden hätte. Malcolm sagte, ich hätte schon genug Unheil angerichtet und würde Raphael nur schaden, wenn ich mich noch weiter in sein Leben einmischte. Es gelang ihm, mich davon zu überzeugen, dass er recht hatte: dass Raphael und seine Forschungen schlussendlich das Wichtigste waren. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn dein Vater und ich glücklicher miteinander gewesen wären. Malcolm versprach mir, auf dich aufzupassen, dein unsichtbarer Wächter zu werden, falls du überleben solltest, wovon er allerdings nicht ausging. Er wollte, dass dein Vater sich auf seine Arbeit konzentrierte, und traute Dennis nicht zu, sich angemessen um dich zu kümmern.
Also willigte ich ein. Aber ich habe immer an dich gedacht. Ich hatte Freunde, die ab und zu nach dir schauten, und von ihnen erfuhr ich, dass es dir gut ging und dass du immer kräftiger wurdest.«
»Wir hatten aber nur sehr selten Besuch.« Ich beobachtete einen Vogel, der in der Nähe vorbeistakste. Er hatte einen merkwürdig flachen Kopf, einen bernsteinfarbenen Schnabel und lange Beine, die komischerweise nach hinten geknickt waren. Er sah aus wie ein Vogel aus einem Comic.
»Diese Besucher waren unsichtbar.« Sie sagte es ganz sachlich.
»Warum bist du nicht selbst gekommen?«
»Das hätte mir zu sehr wehgetan.« Sie streckte ihre Hände nach mir aus. Ich rührte mich nicht. »Ich habe versucht, dir Botschaften zukommen zu lassen«, sagte sie. »Ich habe dir Träume geschickt.«
Ich erinnerte mich an das Kreuzworträtsel und das Lied. »The Blue Beyond«, sagte ich.
»Dann hat es also funktioniert!« Ihre Miene hellte sich auf.
»Bei dem Lied hat es gut geklappt«, sagte ich. »Aber die Kreuzworträtsel waren ziemlich durcheinander.«
»Aber sie haben dich zu mir gebracht.«
Das stimmte so zwar nicht, aber für meine Mutter waren sie der unsichtbare Faden, der mich nach Hause geführt hatte. »Eigentlich war es der Buchstabe S , der mir geholfen hat, Homosassa Springs zu finden«, sagte ich. »Mein Vater und Sophie haben mir erzählt, du würdest glauben, dass der Buchstabe S Glück bringt.«
Als eine Schlange vorbeischwamm, erstarrte ich.
»Wenn du genauer hinschaust, siehst du, dass es ein Vogel ist«, beruhigte mich Mãe.
Und tatsächlich, unter der Wasseroberfläche zeichnete sich der Körper eines Vogels ab - sein langer Hals täuschte verblüffend echt das Abbild einer Schlange vor. »Das ist ein Schlangenhalsvogel. Hast du nichts über Vögel gelernt?«
»Nur ein bisschen. Wir haben uns eigentlich mehr auf Insekten konzentriert.« Ich dachte angestrengt über alles nach, was sie erzählt hatte. »Ich glaube, Malcolm ist die graue Eminenz in dieser Geschichte.«
»Alles in allem war er sehr gut zu mir.«
»Er hat dich uns
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