Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
gesamte Kindheit war so unglaublich ereignislos, dass ich, wenn ich zurückblicke, das Gefühl habe, sie schlafwandelnd durchlebt zu haben. Jetzt möchte ich mehr zu den wachen Momenten kommen, in die Echtzeit meines dreizehnten Lebensjahrs und dem, was folgte.
Es war das erste Jahr, in dem ich meinen Geburtstag rich tig feierte. In den Jahren zuvor hatte ich von meinem Vater beim Abendessen ein Geschenk bekommen und Mrs McG hatte mir einen halb garen Kuchen mit triefender Glasur gebacken. So war es zwar auch in diesem Jahr, aber Mrs McG nahm mich außerdem am 16. Juli, am Tag nach meinem Geburtstag,
wieder mit zu sich nach Hause. Ich sollte dort zu Abend essen und auch die Nacht verbringen: noch eine Premiere für mich. Ich hatte noch nie woanders geschlafen.
Vom Wohnzimmer aus hatte ich zufällig mitbekommen, wie mein Vater mit Mrs McG diskutierte. Er war nicht überzeugt davon, dass es eine gute Idee war, mich in einem fremden Haus übernachten zu lassen.
»Das Kind braucht Freunde«, sagte Mrs McG. »Ich glaube, sie grübelt immer noch über den Tod der Nachbarskatze nach. Sie braucht Ablenkung.«
»Ari ist zerbrechlich, Mrs McGarritt«, sagte mein Vater. »Sie ist nicht wie andere Kinder.«
»Sie ist überbehütet«, sagte Mrs McG mit einer Entschiedenheit, die ich ihr nicht zugetraut hätte.
»Sie ist verletzlich.« Die Stimme meines Vaters war leise, aber streng. »Ich kann nur hoffen, dass sie mein Gebrechen nicht geerbt hat, aber mit Sicherheit ausschließen können wir es nicht.«
»Daran habe ich nicht gedacht«, sagte Mrs McG zerknirscht. »Tut mir leid.«
Nach einer Pause sagte mein Vater: »Ich erlaube Ari, über Nacht wegzubleiben, wenn Sie mir versprechen, dass Sie auf sie aufpassen und sie sofort nach Hause bringen, falls irgendetwas sein sollte.«
Mrs McG versprach es. Ich schloss leise die Salontür und fragte mich, worüber mein Vater so besorgt war. In seiner übertriebenen Fürsorge erinnerte er mich an den Vater der Prinzessin aus Die Prinzessin und der Kobold , der in der ständigen Angst lebt, seine Tochter könne von bestialischen Kreaturen entführt werden, die sich nachts in ihr Zimmer schleichen.
Michael hatte laute Rockmusik laufen, als wir ankamen, und Mrs McGs erste Worte waren: »Stell das leiser!« Kathleen tänzelte die Treppe herunter, um mich zu begrüßen. Sie hatte immer noch ihre Schuluniform an: einen dunkelgrün karierten Pullunder über einer kurzärmeligen weißen Bluse, weiße Kniestrümpfe und Collegeschuhe. Sie musste die Sommerschule besuchen, weil sie in Geschichte durchgefallen war.
»Sieh an, sieh an!«, sagte sie anerkennend.
Ich hatte das neue Outfit an, das ich mir zum Geburtstag gewünscht hatte: ein hellblaues T-Shirt und eine dazu passende Cordjeans; beides saß enger als die Sachen, die ich sonst trug. Und ich hatte mir die Haare wachsen lassen, die bisher immer von Dennis zu einem kinnlangen Bob geschnitten worden waren.
»Wie findest du mich?«
»Sexy«, sagte sie, und ihre Mutter sagte: »Kathleen!«
Doch dann kam Michael ins Zimmer, und ich wusste, dass sie nicht gelogen hatte. Als er mich sah, ließ er sich in gespielter Ohnmacht rückwärts aufs Sofa fallen.
»Ignorier ihn einfach«, sagte Kathleen. »Komm mit nach oben, ich muss mich noch umziehen.«
Ich lag auf Kathleens Bett, während sie sich eine Jeans und ein T-Shirt anzog. Sie rollte ihre Schuluniform zu einem Bündel zusammen, das sie mit einem Tritt in eine Ecke beförderte. »Die Sachen haben meiner Schwester Maureen gehört«, erzählte sie mir. Maureen war die Älteste der Geschwister, und ich sah sie nur selten, weil sie auf das Wirtschafts-College in Albany ging.
»Wer weiß, wer sie vor ihr getragen hat? Ich wasche sie jeden zweiten Tag und trotzdem riechen sie immer noch so komisch.« Kathleen verzog das Gesicht.
»Ich bin wirklich froh, dass ich keine Uniform tragen muss«, kam ich ihr zuvor, weil sie mir das ungefähr zwei- bis dreimal die Woche sagte. Wir hatten uns nämlich angewöhnt, jeden Abend eine Stunde zu telefonieren - wenn sich niemand beschwerte, auch länger -, und der Fluch der Schuluniform war regelmäßig Thema. Genauso wie ein Spiel, das wir »ekel dich« nannten, bei dem wir uns vorstellten, was das Ekligste wäre, das wir im Namen der Liebe tun würden, und bei dem wir versuchten, uns gegenseitig zu übertreffen; die bisherige Gewinnerfrage: »Würdest du die benutzte Zahnseide deines Schwarms essen?«, war Kathleen eingefallen. Sie interessierte
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