Das Zeit-Tippen
noch immer sexbesessen. Er hat fünfunddreißig pornographische Romane geschrieben, aber noch nie mit einer anderen Frau geschlafen. Er hält sich selbst für eine Schreibmaschine, und Maschinen haben nun einmal keine eigene Erfahrung. Sie haben keinen freien Willen, sie lieben nicht und gehen nicht fremd. Sie funktionieren einfach, bis sie ausrangiert werden oder kaputtgehen.
Er drosselt das Tempo hinter einem kleinen ausländischen Wagen. Der Highway ist plötzlich sehr befahren, und Martin empfindet eine vertraute Klaustrophobie: Er erinnert sich an den Long Island Express way bei Spitzen verkehr, an das hypnotische Siebzig-Stundenmeilen-Ritual des Schlangefahrens, an die meilenlangen Stoßdämpfer-an-Stoßdämpfer-Staus.
Hier kann kein Zusammenstoß stattfinden, denn er möchte den Tod anderer nicht auf dem Gewissen haben.
Er überholt ein altmodisches Kabriolett. Ein junger Mann sitzt am Steuer und hat den Arm um ein hübsches Mädchen gelegt. Das wäre der richtige Wagen zum Selbstmord, denkt Martin – der Wind bläst einem in die Ohren, trocknet einem die Augen, und kein festes Dach schützt einem den Schädel beim Aufprall.
Betrübt bei dem Gedanken, daß Kabrioletts nicht mehr hergestellt werden, fährt er vorsichtig weiter. Sicherheitspfähle flitzen an ihm wie Zähne irgendeiner Höllenmaschine vorbei; eine falsche Drehung, ein leichter Ruck am Steuer – und der Wagen zu Schrott zertrümmert. Aber er folgt, anderen gegenüber immer rücksichtsvoll, der Fahrbahn. Er kommt an einer Reihe von Abfahrten zur Innenstadt vorbei, erblickt die Blinklichter eines Flugzeugs, das von Osten kommt, und dann die Stadt und dahinter den trüben Glanz der Zivilisation. Vor ihm dringt eine Abzweigung des grauen Highway in die Berge ein, durch eine niedrige Mauer aus Nachtnebel und dicke Wolken, die unter einem zornig-roten Mond hängen.
Jetzt, denkt Martin, wird er in die Dunkelheit schlüpfen, die den Aufprall von Fleisch und Metall aufsaugen wird; und er wird einfach davonschweben wie ein Geist im Morgennebel.
Der Highway wird die nächsten paar Meilen zweispurig und folgt den Konturen der Landschaft. Martins Kehle schnürt sich in freudiger Erwartung zusammen, während er die Augen schließt und das Gaspedal ganz herunterdrückt.
Er träumt von Flucht und Erschütterung; er träumt, daß die Zeit aus Gummi ist und er sie zerreißt. Während er darauf wartet, daß seine Vergangenheit sich entfaltet, wiederholt er ein Mantra, das seine ältere Tochter ihm beigebracht hat.
Er versucht, sich seine Frau, vorzustellen, Jennifer. Obwohl er sie intim kennt und bis ins letzte Detail beschreiben kann, vermag er sie nicht mehr zu sehen. Er erinnert sich nun an sie als Gleichung, als gelegentlich durch griechische Buchstaben ergänzte Zahlen, um den geheimen Teil ihrer Psyche zu bezeichnen.
Sie ruft wahrscheinlich die Polizei an und die Nachbarn und macht viel Aufhebens und weckt die Kinder.
Er strafft ein anderes Band der Zeit und träumt von seinem Begräbnis. Seine engsten Freunde werden am Grab stehen und ein paar Erdklumpen in die Grube werfen; seine Kinder werden laut weinen, während Jennifer gelassen zuschaut. Alles in allem eine schöne Verzweiflung, ein angemessenes Ende.
Martin fragt sich, wie lange er wohl in seine Tagträumereien versunken gewesen ist. Wahrscheinlich nur einen Augenblick, denkt er. Er erinnert sich an seine Kindheit. Er reißt das Steuer wuchtig herum, um seines Todes sicher zu sein.
Er schreit in Vorahnung des zerschmetternden Schmerzes und der darauf folgenden Betäubung.
Aber nichts geschieht.
Er wartet einige Pulsschläge lang, dann öffnet er die Augen, um festzustellen, daß er in einer Kleeblattkreuzung gelandet ist. Unabsichtlich ist er in eine Ausfahrt geraten und saust jetzt zum Highway zurück, um die umgekehrte Richtung einzuschlagen.
„Verdammt noch mal, Jennifer, ich komme nicht zurück…“
Es bleibt ihm nur noch sehr wenig Zeit; der Himmel wird schon schmuddelig. Die Morgendämmerung ist nicht mehr fern, und der Gedanke, in den blutigen Sonnenaufgang zu rasen, entgeht ihm nicht.
Es muß geschehen, solange es noch dunkel ist, denkt er; der Sonnenschein würde ihn vor aller Welt bloßstellen.
Fahle Palisaden erheben sich zu beiden Seiten des Highway wie Treppenruinen. Aber diesmal schließt Martin nicht die Augen. Er hat keine Zeit zum Träumen.
Er reißt das Steuer scharf herum und ist wieder zu einer grellen Explosion des Todes bereit.
Aber der Wagen rollt
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