Das Zeit-Tippen
nicht, der Wasserhahn tröpfelte nicht. Sie konnte den Wind nicht hören. Deshalb machte sie ein Geräusch, aber es nützte nichts, jedes Wort, Piepsen, Husten und Schniefen schien woanders herzukommen, irgendwo aus der Ferne. Sie stand auf und stampfte mit dem Fuß auf den Boden, aber der Aufprall hatte nichts mit ihr zu tun. Es war zwar ein Geräusch, aber es gab keine Kausalverbindung zwischen den Vorgängen. Sie verliefen parallel zueinander, synchron. Die Welt der Sicht und des Lauts hatten nur einen scheinbaren Zusammenhang.
Aber jemand in diesen Welten lag im Sterben, und Mrs. Fishbine hatte das Gefühl, die Intuition, daß die einfache, gradlinige Logik ein Stückchen in sich zusammenbrechen würde. Es war so, als begänne sie, zu sterben und auseinanderzufallen. Was machte David schon für einen Unterschied, fragte sie sich. Für seinen Vater war er nur zweitrangig, ein schlechtes Abbild; daher müßte er natürlich zuerst verfaulen.
Mrs. Fishbine kämpfte gegen die massive Stille des steinernen Hauses an und ging hinunter in die Küche. Ihre Füße tappten über den Teppich, aber es waren nicht ihre Füße, sondern tausend Geister, die dieselbe Stelle einnahmen. Sie fühlte sich schwer, aber sie war zu brüchig, um zu schmelzen und ein toter Ton zu werden.
Sie knipste alle Lichter an – ihr gedrungenes und bröckeliges Haus würde eine nächtliche Bake, ein Lichtsignal gegen den Tod sein. Sie stellte Käse und Crackers und Tee auf ein Tablett, um sie mit nach oben zu nehmen. Morgen würde ein anderer Tag sein, dachte sie.
Morgen würde sie die Toten zählen.
Nächtliche Visionen
Martin tritt auf das Gaspedal seines zitronengelben Coupes und ist bereit zu sterben. Es wird ein mannhafter Tod sein, denkt er, obwohl ihn die Vorstellung, daß sein schöner Wagen als Wrack im Straßengraben liegen wird, ein wenig betrübt. Er schaut auf das horizontale Anzeigeband, das sich über das Armaturenbrett erstreckt: Die Tachometernadel bleibt ordentlich zwischen der Neun und der Null stehen.
Er hat eine köstliche Vorahnung, während er durch die Dunkelheit und den niedrigen Bergnebel flitzt. Seine Scheinwerfer färben die Bäume unnatürlich grün; der Mond ändert seine Form durch die vorbeiziehenden Wolken.
Als die Tachometernadel die Hundert erreicht, schließt Martin die Augen und reißt das Steuer nach links. Er malt sich aus, wie sein Wagen den Highway diagonal überquert, dann den Randstreifen, wobei er ein paar Leitplanken mitnimmt, und in die gespenstischen Arme des Nebels stürzt. Er rafft sich nicht für den bevorstehenden Aufprall zusammen. Entspannt wartet er darauf, daß der Wagen von der Straße abkommt und die Ereignisse in seinem Leben vor ihm abspulen wie ein Nachrichtenfilm. Sicher wird die Zeit sich wie eine Blase voller Einsichten und tiefer Verzweiflung aufblähen, die die letzten Augenblicke des Bewußtseins begleiten müssen.
Martin beschließt, die Augen geschlossen zu halten; er will seinem Schicksal begegnen. Aber der Wagen bleibt auf dem Highway, als wäre er wie ein Trolleybus mit einer Oberleitung verbunden. Die Speichenräder platschen, als sie in die regelmäßigen Fugen der Straßenbetonierung geraten. Seltsam, warum ist er noch nicht aufgeprallt und tot? Martin träumt von zersplitterten Knochen, zerfetztem Fleisch, dem wahren kosmischen Orgasmus.
Gerade als das linke Vorder- und Hinterrad endlich von der Fahrbahn schlittern, ertönt eine Sirene. Überrascht öffnet Martin die Augen, um festzustellen, daß der Wagen, wie durch ein verhextes Gyroskop, wieder auf dem Highway gelandet ist.
Die Polizeistreife überholt ihn, und Martin steuert auf ein beleuchtetes Stechpalmengebüsch zu, um seinen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung wie einen Ablaß entgegenzunehmen.
Es ist unfair, daß ich mich selbst umbringen sollte, denkt Martin, während sein Wagen wie ein großes Kriegsschiff auf einem verlassenen Meer in den Nebel und wieder daraus hervortaucht. Vor sich kann er die grauen Lichter einer mittelgroßen Stadt sehen, die zwischen schwarze Hügel gebettet ist. Er grübelt in der Dunkelheit; bald wird der Highway zur Hochstraße werden und beleuchtet sein.
Martin bedauert sein Leben. Was hat er außer hundertachtunddreißig Schundromanen, zwei Kindern und einer Frau, die er nicht liebt, vorzuweisen? Er hält sich immer noch für unberührt, denn er hat, außer mit seiner Frau, noch nie Geschlechtsverkehr gehabt. Mit neununddreißig ist er
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