Das Zeit-Tippen
haben, und sie würden beide jung bleiben, bis Mrs. Fishbines Haut riß. Im Augenblick, eine köstliche Sekunde lang, konnte sie sich selbst sehen: Sie war schön und trug einen Faltenrock und eine Spitzenbluse. Ihr Haar war schwarz und hinten hochgekämmt; Löckchen hingen lose über ihre Ohren, und ihre Haut war weich und glatt.
Aber ihr Gesicht wurde grau und fiel ab, und sie wachte auf. Der Fernseher plärrte. Eine Talkshow. Sie schaute aus dem Fenster. Wieviel Zeit war vergangen – eine Stunde? Fünfzehn Minuten?
Sie wartete und las. Dann hatte sie jenes Gefühl – es war gerade Zeit für einen Besuch. David und Carl, ihre Söhne, hatten zuviel Zeit mit ihrem Vater verbracht. Zugegeben, er war krank, aber sie schuldeten ihr eine Stunde. Ich bin immer noch ihre Mutter.
Gegen zehn Uhr hörte sie unten Schritte. Sie wartete, während einer ihrer Söhne, wahrscheinlich David, dachte sie, sich etwas zu essen machte. Er könnte wenigstens „Hello“ heraufrufen.
Er soll heraufkommen, ich gehe nicht hinunter.
Es war David. Sie hatte ihn immer für den besseren der beiden Jungen gehalten: Carl machte sich nicht die Bohne aus irgend jemandem, von seinem Vater abgesehen.
„Habe ich dich geweckt, Mama?“ fragte er, als er ins Zimmer kam. Er setzte sich auf das Bett seines Vaters, ihrem gegenüber. David sah wie sein Vater aus – die gleiche hohe Stirn, die gleichen tiefliegenden braunen Augen, der gleiche Haarschopf und das gleiche zerfurchte Gesicht. Mrs. Fishbine haßte ihn deswegen und vergaß manchmal, daß sie mit ihrem Sohn sprach und nicht mit ihrem Mann.
David wartete nicht das Wortgeplänkel ab, sondern sagte gleich, daß Dämon krank sei, daß er Krebs habe, daß er nach New York fahren werde, um sich operieren zu lassen. Sie bemühte sich, gelangweilt auszusehen, ihre Gesichtszüge daran zu hindern, sie zu verraten, aber sie taten es doch: Sie zog eine Grimasse. Es war ein nervöses Lächeln, mehr nicht. Es war ein Seufzer der Erleichterung, eine Bestätigung, daß die Gerechtigkeit noch immer eine Waage in der Hand hielt. Ihr Haß und ihr Schmerz ließen sie erstarren, verliehen ihr Kraft und zehrten an ihr.
Sie hörte David zu und beobachtete, wie er sich veränderte. Zuerst seine Augen – sie waren wäßrig und seicht, winzige Vogelbäder in seinem Plastikgesicht; und sein Gesicht war weich und faltenlos. Er sah wie jemand anderes aus, nicht wie ihr Sohn. Er war ein formloser Wurm, etwas Blasses, das schmolz.
„Wenn er stirbt“, fuhr David fort, „bekommst du nichts. Weißt du das? Also solltest du lieber hoffen, daß er am Leben bleibt.“
Aber es bedeutete ihr nichts. Krebs. Memorial Hospital. Lorna. Sie zündete sich eine Zigarette an. Natürlich war es ein Triumph, aber das war ihr egal. Es war schon geschehen. Sie brauchte nur das Gespräch zu beenden und ihren Sohn im Auge zu behalten, um seine Metamorphose zu beobachten. Sie hatte keine Angst. Es war so, als hätte sie erwartet, daß die Welt sich auflöste, ihre Züge und Gesichter verlor. Aber ihr Zimmer besaß immer noch seine überladene Anwesenheit. Es war hart und scharf, voller Winkel und Verzierungen.
„Das wollte er doch“, sagte sie. „Er hat sich bei ihr angesteckt. Sie hatte es in ihrem dreckigen Dreieck.“
David redete weiter. Er war wütend, aber das war in Ordnung: Es schien seine Verwandlung zu beschleunigen. Sein Gesicht war ein glattes Oval. Seine Hände waren lang; sie schienen wie Kerzenwachs auf seinen Knien zu schmelzen.
Sie ließ ihn weiterreden, bis er zu riechen begann, ein Gestank wie verfaulendes Obst und Straßenabfälle, ein süßlicher Parfumgeruch, der von Schweiß verdorben worden war.
Sie holte tief Luft, und er ging.
Es spielt keine Rolle mehr, dachte Mrs. Fishbine. Er ist tot. Sie würde es überstehen, es verdauen; aber sie würde nicht viel Zeit haben, um zu trauern. Schließlich, dachte sie, läuft er immer noch herum. Bei seinem Vater verhielt es sich dagegen anders. Er würde einige Zeit dazu brauchen, eklig zu werden und genügend wunde Stellen zu entwickeln, um sich auszulöschen.
„Komm jetzt“, sagte sie. „Was für alberne Gedanken! Dämon wird nicht sterben. Hautkrebs… Laß also David bei seinem Vater bleiben.“
Es war eine Werbesendungspause. Mrs. Fishbine dachte ans Essen und beschloß, sich eine Kleinigkeit zuzubereiten. Es schneite stark, und der Frost zeichnete auf die Fensterscheibe. Sie schaltete den Fernseher ab. Alles war still. Das Haus knarrte
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