Das Zeit-Tippen
ohne etwas zu essen oder zu trinken, geläutert, und sie werden nicht einmal imstande sein, an dem Steckkontakt teilzunehmen. Aber viele werden Stimmen hören und im Dunkeln sehen. Diese Zeremonie ist auch für sie da.“
Da Mantle nun so nahe daran war, möglicherweise Josiane zu finden, fühlte er sich leer, als spielte es keine Rolle mehr, als wäre alles unwirklich. Es begann zu nieseln, und dann ging der feine Regen in Nebel über, der über dem Meer wallte wie der Dampf aus dem Kessel eines Dämonen.
Ja, dachte Mantle und versuchte dabei, einen Angstschauer zu unterdrücken, alles ist charakteristisch: die gespenstische Umgebung, der Tempel, das Ritual, das zweiteilige Paradigma, alles hier. Aber rationales Denken vermochte Mantles Besorgnis nicht zu mildern, die dem Teil seines Wesens entstammte, der sich mit der Finsternis, dem Aberglauben und der Intuition verwandt fühlte. Wegen dieser Finsternis in sich war er ja hier.
Die Menge begann zu singen, erst summend, dann lauter: Aria ariari isa, vena amiria asaria, immer wieder, nun lauter und schneller, dann leiser und langsamer, in der Erwartung, von dem toten Schreier besessen zu werden, in Erwartung der Begnadeten, die sich in die Gefäße der Götter verwandeln und ihre unverständlichen Worte ausschütten würden, die Worte des Feuers und des Windes.
Schließlich stimmte auch Mantle ihren Gesang an. Er ertappte sich dabei und sagte: „Mein Gott, welche Sprachen sprechen sie nun?“
„Regen Sie sich darüber auf, ein wenig mitgerissen zu werden?“ entgegnete Roberta; sie war wachsam wie ein Steuereintreiber.
„Das ist die Religion eines Lumpensammlers. Nimm ein bißchen von dieser Religion, ein bißchen von jener und vermische sie gut. Japaner wüßten das zu schätzen.“
„Wie erklärt sich denn ein Jude, der halb Indianer ist, seine Vorurteile verstandesmäßig?“ fragte Roberta; Mantle fühlte, daß er einen roten Kopf bekam, und blendete zu Ellen zurück, die für Pretre eine Akte über ihn anlegte. „Wenn Sie eine heilsame und erfolgreiche Erfahrung mit dem Schreier machen wollen“, sagte Roberta, „dann müssen Sie Ihre Kritik abschalten und sich entspannen. Oder möchten Sie sich für immer in unserem Tempel verirren?“ Der Anflug eines Lächelns, eines Lächelns wie das Josianes, eines krummen Lächelns, das große regelmäßige Zähne entblößte.
Mantle zwang sich, ihr Lächeln zu erwidern, und bemerkte die Statuen, die um die Ruine zwischen den knorrigen buschigen Olivenbäumen verstreut waren. Jetzt – auf einmal – konnte er sie sehen, als wäre hier ein Architekt des Unterbewußten an der Arbeit gewesen. Alle Statuen glichen sich: glatte Steinköpfe ohne irgendwelche Gesichtszüge außer denen, die von Schatten hervorgerufen wurden. Jetzt bemerkte er, daß die houtades und die älteren Leute neben ihm Figurinen befingerten, die er nicht deutlich erkennen konnte; er nahm an, daß es sich um kleinere Abbilder der großen, glattgesichtigen Statuen handelte.
Der Gesang wurde zu einem weißen Geräusch in Mantles Ohren, ebenso elementar und ewig wie die Brandung in seinem Rücken.
„Fällt es Ihnen nicht schwer, diese Anbetung von Idolen hinzunehmen?“ fragte er mit echter Neugier – aber ein sarkastischer Ton hatte sich in seine Stimme eingeschlichen.
„Mir fällt es überhaupt nicht schwer“, sagte Roberta, „allerdings habe ich sie sprechen hören.“ Mantle stöhnte. „Würden Sie sich wohler fühlen, wenn ich Ihnen sage, daß diese Statuen nur Hilfsmittel sind, um mein Bewußtsein einzuengen?“ Nach einer Pause fragte sie: „Glauben Sie, daß der Mensch eine Seele, einen göttlichen Geist hat?“
Mantle witterte eine Falle und sagte: „Ich weiß nicht. Da ich ein Jude bin, habe ich mir den Kopf nicht darüber zerbrochen. Juden sterben einfach, sie machen sich keine Sorgen um das Himmelreich und ihren Seelenzustand.“
„Indianer tun das dagegen sehr wohl“, sagte sie mit aufblitzendem Lächeln und schnitt ihm diesmal jeden Fluchtweg ab. „Alle modernen Religionen gehen von einer Seele aus, wie schon die Griechen und Römer. Sie ist der Atem Gottes, ein Stückchen Ewigkeit, das wir in uns tragen. Aber was sind wir doch für jämmerliche Gefäße, um ein Stückchen Ewigkeit in uns zu tragen! Wir schwitzen, scheißen, werden krank, sterben, verwesen. Aber wenn sogar wir eine Seele haben können, wir nichtige Wesen aus Fleisch und Blut, wieviel leichter, wieviel plausibler ist es dann, daß dieser vollkommene
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