Das Zeit-Tippen
Steckkontakt mit Ihnen, wenn Sie wollen.“
„Ich bin demnach Ihre Eintrittskarte für den Steckkontakt“, sagte Mantle und bedauerte schon seine Worte und seinen Ton. Gegen seinen Willen mußte er zugeben, daß er sich mit ihr sicherer fühlte. Er hatte Ellen fallenlassen – reichte das nicht aus, fragte er sich. Aber wie Pretre hatte Roberta einen schlüpfrigen Verstand, der ihm Angst einjagte.
Mantle dachte an Ellen. Jetzt begehrte er sie, jetzt brauchte er sie. Ich liebe dich. Ich weiß, daß du…
„Ich bin mit dem Steckkontakt an der Reihe“, sagte Roberta. „Mit dir oder ohne dich.“
„Worin liegt die Gefahr, von Einheimischen entdeckt zu werden?“ fragte er, um das Thema zu wechseln. Sie kamen an einer Gruppe langhaariger boutades mit rot geschminkten und gefurchten Gesichtern vorbei. Die boutades waren nackt, um die ihnen auf Brust und Arme transplantierten männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane zur Schau zu stellen. Neben den boutades standen mehrere Kinder und einige Einheimische in Tracht, wahrscheinlich die Eltern der Kinder. Mantle warf den boutades einen sauren Blick zu und wandte sich dann ab, als stellten sie alles dar, was er an der modernen Welt haßte.
„Dies ist ein religiöses Gebiet, und die meisten vornehmen Leute decken uns“, sagte Roberta. „Seit der Gründung der Kirche benutzen wir diesen Ort. Er ist heilig. Hier gibt es viele Schreier, denn der Tod ist ein Freund heiliger Stätten. Wenn die Einheimischen auf unserer Seite stehen, so ist das gefährlich für sie… Aber natürlich droht auch uns dauernd Gefahr. Es hat hier schon einmal eine Razzia gegeben, und es wird sicher wieder eine geben. Die Polizei hat einige von uns ins Jenseits geschickt.“
„Meinen Sie damit, bei der Razzia?“
Roberta nickte, als könnten die Wörter „Sicherheit“ und „Gefahr“ für sie ohne weiteres gleichbedeutend sein.
„Warum kehren Sie dann zu diesem Ort zurück?“ fragte Mantle.
„Weil die Stimmen der Schreier hier deutlich sind. Warum gab es ein Orakel in Delphi, in Dodona, in Ptoa, in Branchidae, in Patara?“
„Vielleicht liegt es an der Umgebung…“
„Glauben Sie fest daran, daß die Stimmen hier deutlich sind“, sagte Roberta. Sie blieben bei einem Dolmen stehen. Verstreute Felsen sahen wie die Gebeine eines Riesen oder eines vorsintflutlichen Tieres aus, heraufbeschworen durch die Elemente und das Spiel der Schatten und des matten Mondscheins. Die Bekehrten versammelten sich nun leise wie Schemen um den Dolmen. Sie sahen alle wie alte Männer und Frauen aus; sogar die boutades gingen jetzt gekrümmt, als hätte die schlechte, salzgeschwängerte Luft sie betäubt und als schliefen sie im Stehen ein. Sie schienen die Nacht wie Kopfsteinpflaster zu füllen.
„Was in einem geschieht, ist wichtig“, fuhr Roberta fort. „Kommt es, wenn man etwas tief empfindet, darauf an, wodurch es ausgelöst wird? Kommt es darauf an, ob es die heiligen Worte eines Gebetes sind oder das Lichtspiel in einem Fenster oder ein auf dem Boden glitzernder Plastikflitter? Sie müssen versuchen, fest an das zu glauben, was um Sie herum geschieht. Lassen Sie sich in Trance versetzen. Vergessen Sie Ihre linke Gehirnhälfte und Ihre rationale Welt. Leben Sie heute nacht im Innern der Dinge. Wenn Sie Ihre Frau finden wollen, müssen Sie mitspielen.“
„Reicht der Steckkontakt denn nicht aus?“ fragte Mantle.
„Nein, er wird Sie nirgendwo hinbringen, wenn Sie nicht bereit sind, oder nur zu Orten, zu denen Sie nicht wollen: zu Randgebieten, zu toten Orten.“
„Dieses Bauwerk sieht wie ein Grab aus“, sagte Mantle und betrachtete den Dolmen, einen Rundbau von etwa drei Metern Durchmesser und vier Metern Höhe. Er war von einer Brustwehr aus ockerfarbenen Pflastersteinen umgeben. Große rechteckige Steine ragten wie Stelen ringförmig aus dem Boden empor.
„Es ist sowohl ein Grab als auch ein Tempel“, sagte Roberta fast flüsternd, als wäre sie im Begriff einzuschlafen. Es lag etwas Spürbares in der Luft, eine Stille, eine Spannung, eine Vorahnung dessen, was vorgehen würde.
„Dann ist also der Schreier dort drinnen?“ fragte Mantle. „Wann gehen wir hinein und stellen den Steckkontakt her?“
„Pretre bereitet ihn gerade vor“, sagte Roberta, offensichtlich verärgert darüber, bei einem Gespräch unterbrochen zu werden, das nur sie hören konnte. „Diese Leute hier…“ – und Roberta machte eine Armbewegung in der Runde – „… haben sich tagelang hier,
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