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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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lediglich ein kleiner Teil des Ich (die Wölbung am oberen Teil der Figur) das bewusste Erleben, das seinerseits eng mit der Wahrnehmung verknüpft ist. Das Über-Ich ist die vermittelnde Instanz beim fortwährenden Kampf um die Vorherrschaft zwischen Ich und Es.
    Laut Solms stimmen neurologische Hirnkartierungen (Abb. 22-8B), wenn auch nur sehr allgemein, mit Freuds Darstellung überein. Der Input von der ventromedialen Region des präfrontalen Cortex, die Damasio untersucht hat und die selektiv die Amygdala hemmt, entspricht im Groben der Funktion des Über-Ich. Die dorsolaterale Region des präfrontalen Cortex, die selbst-bewusstes Denken steuert, und der hintere sensorische Cortex, der die Außenwelt repräsentiert, entsprechen ungefähr dem Ich. Demzufolge ist Solms der Meinung, dass der Kernpunkt des von Freud entwickelten dynamischen Modells im Wesentlichen recht überzeugend bestätigt wurde: Die primitiven, instinktiven emotionalen Systeme werden von höheren ausführenden Systemen im präfrontalen Cortex gesteuert und gehemmt.
    Entscheidend für die moderne Biologie des Geistes ist nicht, ob Freud recht hatte oder nicht. Seine größte Leistung für die Psychologie an sich bestand darin, mithilfe sorgfältiger Beobachtungen eine Menge kognitiv-perzeptueller und emotionaler Prozesse zu beschreiben, die als Grundlage für spätere Entwicklungen in der Hirnforschung dienen konnten. Dieser Aspekt bringt insbesondere die empirischen Studien voran, die zu einer neuen Wissenschaft des Geistes führen.
    172 John Martyn Harlow zitiert nach MacMillan, M., An Odd Kind of Fame: Stories of Phineas Gage ,Cambridge, MA, 2000, S. 114.

KAPITEL 23
    DIE BIOLOGISCHE REAKTION AUF SCHÖNHEIT UND HÄSSLICHKEIT IN DER KUNST
    N eben instinktiven Sinnesfreuden erleben wir auch, auf einer höheren Stufe, ästhetische und soziale Freuden künstlerischer, musikalischer, altruistischer oder gar transzendentaler Art. Der Genuss dieser höheren Freuden ist zum Teil angeboren, etwa bei unseren Urteilen über Schönheit oder Hässlichkeit, und zum Teil erworben, wie in unserer Reaktion auf bildende Kunst und Musik.
    Wenn wir ein schönes Kunstwerk betrachten, schreibt unser Gehirn den verschiedenen von uns wahrgenommenen Formen, Farben und Bewegungen unterschiedliche Grade von Bedeutung zu. Dieses Zuschreiben von Bedeutung, oder die visuelle Ästhetik, verdeutlicht, dass ästhetisches Vergnügen keine elementare Empfindung ist wie das Fühlen von heiß oder kalt oder das Schmecken von bitter oder süß. Vielmehr betrifft es die Beurteilung von Sinnesreizen auf einer höheren Ebene. Diese Beurteilung erfolgt auf spezialisierten Bahnen im Gehirn, die das Belohnungspotenzial eines Umweltreizes einschätzen – in diesem Falle des Kunstwerks, das wir betrachten.
    IN DER KUNST WIE AUCH IM LEBEN gibt es kaum einen Anblick, der uns mehr Freude bereitet als ein schönes menschliches Gesicht (Abb. 23-1). Attraktive Gesichter aktivieren die Belohnungsareale im Gehirn – sie wecken Vertrauen und fördern die sexuelle Anziehung und Partnerschaft. Untersuchungen über die Attraktivität in Leben und Kunst haben eine Reihe überraschender Einsichten zutage gefördert.
    Sehr lange Zeit waren Wissenschaftler der Überzeugung, dass willkürliche kulturelle Konventionen den Maßstab für männliche und weibliche Schönheit setzten. Man glaubte sogar, das Prädikat »schön« entspringe dem individuellen Empfinden – die Schönheit liege im Auge (im Gehirn) des Betrachters. Mehrere biologische Studien haben diese Auffassung jedoch ins Wanken gebracht. Sie ergaben, dass Menschen überall, ungeachtet von Alter, Schicht oder ethnischer Zugehörigkeit, eine Menge unbewusster Kriterien teilen, die bestimmen, was sie als attraktiv empfinden. In allen Fällen sind die Eigenschaften, die Menschen attraktiv finden, Indikatoren für Fruchtbarkeit, Gesundheit und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten. Die Psychologin Judith Langlois von der University of Texas hat festgestellt, dass selbst völlig unbedarfte Betrachter – drei und sechs Monate alte Babys – diese Wertvorstellungen teilen.

    Abb. 23-1.
Denise Kandel.
    Was macht ein Gesicht attraktiv? Ein Merkmal ist Symmetrie, die uns besser gefällt als Asymmetrie. Nach David Perrett, Leiter des Labors für Wahrnehmung an der University of St. Andrews in Schottland, gilt dies für Männer- und Frauengesichter gleichermaßen. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen und Männer aller Kulturen

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