Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Organisieren von Verhalten, das auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist. Zur Erfüllung ihrer kognitiven Aufgaben nutzt die dorsolaterale Region Informationen aus der ventrolateralen Region. Gemeinsam sorgen die beiden Regionen dafür, dass unsere Handlungen auf eine effektive Befriedigung unserer Bedürfnisse abzielen. Die dorsolaterale Region ist an sachlichen moralischen Dilemmas beteiligt, die stärker kognitiv gewichtet werden (Weiche umlegen beim Trolley-Problem) als emotional (Person von der Brücke stürzen).
Die vierte Region des präfrontalen Cortex, die mediale Region , birgt den vorderen cingulären Cortex (Gyrus cinguli), der zwei Teilbereiche hat: eine ventrale Region, die für die Bewertung von Emotion und Motivation sowie die Regulierung von Blutdruck, Puls und anderen vegetativen Funktionen wichtig ist, und eine dorsale Region, die bei der Top-down-Steuerung kognitiver Funktionen, wie beim Vorhersagen von Belohnungen, bei der Entscheidungsfindung und der Empathie, eine zentrale Rolle spielt. Personen mit Schädigungen des vorderen cingulären Cortex sind emotional instabil und haben Schwierigkeiten damit, Konflikte zu lösen oder Fehler beim Vorhersagen von Belohnungen zu entdecken, was dazu führt, dass sie unangemessen auf Veränderungen der Umwelt reagieren.
Sowohl die ventrale Region des vorderen cingulären Cortex als auch die ventrolaterale und ventromediale Region des präfrontalen Cortex gehören zu dem von Chris Frith identifizierten System, das für soziale Kognition verantwortlich ist. Ist eine dieser Regionen geschädigt, beeinträchtigt dies das normale moralische Empfinden, und solche Beeinträchtigungen sind ihrerseits ein wichtiges Kennzeichen von Störungen des Sozialverhaltens.
WENN MAN SICH MIT AKTUELLEN THEORIEN über unbewusste emotionale Prozesse und bewusste Gefühle beschäftigt, wird einem fast unweigerlich Freuds Einfluss klar. Freud betonte, dass unsere Emotionen eng mit unserem Innenleben verwoben sind und dass unsere Fähigkeit, sie zu kontrollieren, uns im inneren Gleichgewicht hält. Im günstigsten Fall bewirkt die erfolgreiche Regulierung stressauslösender Emotionen, dass man sich nur leicht gestresst fühlt. Im schlimmsten Fall fordert ein Versagen der Regulierung einen hohen Tribut – es kann die Ursache vieler verschiedener psychiatrischer Störungen und ihrer Symptome sein.
Welche Überlegungen Freuds sind für die neue Wissenschaft des Geistes noch relevant? Der Neuropsychoanalytiker Mark Solms hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und dabei besonders auf einen Punkt verwiesen, der zu den wichtigsten dieses Buches gehört: Die moderne Forschung hat die Vorstellung von unbewussten geistigen Prozessen durchgängig gestützt. Überdies haben wir Grund zu der Annahme – ganz im Sinne Freuds –, dass es verschieden geartete unbewusste Prozesse gibt. Einige davon, von Freud als das vorbewusste Unbewusste bezeichnet, lassen sich leicht ins Bewusstsein rufen, indem man seine Aufmerksamkeit auf sie richtet, während uns andere normalerweise nicht bewusst werden (das prozedurale Unbewusste und das dynamische – oder instinktive – Unbewusste).
Freud ging davon aus, dass manche unbewussten Prozesse, etwa das dynamische Unbewusste, verdrängt werden. Solms behauptet, dass nun Belege für bestimmte Formen der Verdrängung vorliegen. So gibt es Patienten mit Schädigungen des rechten Parietallappens, die bestreiten, dass ihr Arm gelähmt ist. Sie ignorieren den Arm, versuchen möglicherweise sogar, ihn aus dem Bett zu werfen, und verkünden, er gehöre jemand anderem. Freud hat darauf hingewiesen, dass die Äußerungen des verdrängten Unbewussten vom Lustprinzip bestimmt werden – dem unbewussten Trieb, Befriedigung zu suchen und Leid zu meiden. Wie wir gesehen haben, ließ sich Phineas Gage aufgrund der Schädigung seines präfrontalen Cortex vom Lustprinzip leiten und missachtete Regeln des Sozialverhaltens, die diesem Bedürfnis zuwiderliefen.
Abb. 22-8.
Moderne Version von Freuds dreigeteilter Skizze der psychologischen Instanzen.
Überdies hat Solms versucht, Freuds Strukturmodell von 1933 – mit Ich, Es und Über-Ich – in die moderne Hirnforschung zu übertragen (Abb. 22-8). In Freuds Version (Abb. 22-8A) werden die instinktiven Triebe des Es vom Über-Ich verdrängt und auf diese Weise daran gehindert, das rationale Denken zu beeinträchtigen. Da die meisten rationalen Prozesse (des Ich) ebenfalls automatisch und unbewusst ablaufen, steuert
Weitere Kostenlose Bücher