Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Entwicklungspsychologen am MIT , den aus der Gestalttheorie stammenden Begriff der konfigurationellen Information in die Erforschung der Gesichtswahrnehmung ein. Bislang war man davon ausgegangen, dass das Gehirn nur anhand einzeln aneinandergereihter Informationen Gesichter wahrnimmt – dass ihm, anders gesagt, diejenigen räumlich angeordneten Elemente Informationen liefern, die ein Gesicht zu einem Gesicht machen: zwei waagerecht nebeneinanderliegende Augen, in der Mitte dazwischen eine Nase über einem mittig positionierten Mund. Die konfigurationellen Informationen sind jedoch differenzierter und betreffen den Abstand zwischen den Merkmalen, ihre Position und ihre Form. Laut Carey und Diamond sind Informationen über die einzelnen Elemente hinreichend, um Gesichter von anderen Objekten unterscheiden zu können, während konfigurationelle Informationen zur Unterscheidung zwischen mehreren Gesichtern notwendig sind; besonders wichtig aber scheinen sie für die Beurteilung der Schönheit eines Gesichts zu sein.
Den ersten Beweis für die Rolle, die konfigurationelle Informationen bei der Bewertung von Schönheit spielen, lieferte David Perrett, als er der Frage nachging: Benötigen wir Informationen über einzelne Elemente oder konfigurationelle Informationen, wenn wir die Attraktivität eines Gesichts beurteilen wollen? Um festzustellen, welche Gesichtszüge als attraktiv gelten, legte er Personen, die an der Studie über weibliche Gesichter teilnahmen, künstlich zusammengesetzte Bilder von Gesichtern vor. Aufgrund der Ergebnisse aus diesen Untersuchungen erstellte er dann das attraktive weibliche Durchschnittsgesicht.
Als Perrett die Merkmale des durchschnittlichen attraktiven Gesichts übertrieben darstellte – höhere Wangenknochen, zierlichere Kieferpartie, größere Augen oder ein kürzerer Abstand zwischen Mund und Kinn sowie zwischen Nase und Mund – fanden die Versuchspersonen das Gesicht noch attraktiver, ganz so, wie es die Kris-Gombrich-Ramachandran-Hypothese vorhersagte. Wie wir gesehen haben, ist Übertreibung ein Stilmittel, das Karikaturisten und Expressionisten nutzen; im Grunde wählen sie aus einem Gesicht ein charakteristisches Merkmal aus und stellen das, wodurch sich das Merkmal von seinem universellen Prototyp unterscheidet, übersteigert dar. Überdies entdeckten Doris Tsao und Winrich Freiwald bei ihren Versuchen mit Affen, wie bereits erwähnt, dass Neuronen in zwei der Hirnareale, die für die Gesichtserkennung zuständig sind, eine sowohl elementbezogene als auch ganzheitliche Strategie anwenden. Als Tsao und Freiwald ihren Versuchstieren stilisierte Gesichter zeigten, stellten sie fest, dass die Nervenzellen Gestaltregeln befolgen: Sie reagieren nur dann auf einzelne Merkmale oder eine Merkmalskombination, wenn diese sich innerhalb eines Ovals befinden. Zudem ist die Reaktion der Zellen besonders stark, wenn die Gesichtsmerkmale – wie in einem expressionistischen Gemälde – übertrieben dargestellt sind.
Dies ist alles andere als trivial. Die Biologie der Schönheit hat die faszinierende Einsicht zutage gefördert, dass sich das Schönheitsideal im Laufe der Jahrhunderte und von einer Kultur zur nächsten verblüffend wenig geändert hat. Demnach sind wahrscheinlich einige Aspekte, die unsere stillschweigende Auffassung von Attraktivität bestimmen, im Verlauf der Evolution erhalten geblieben. Unsere Prioritäten bei der Beurteilung von Schönheit sind ganz offensichtlich effektiv – sonst hätten sie nicht einem mehr als 40000 Jahre andauernden Selektionsdruck standgehalten. Die Tatsache, dass allgemeingültige Schönheitskriterien existieren, die die Zeiten überdauern, ist wichtig für das Verständnis von Kunst. Sie erklärt, warum uns ein Akt von Tizian ebenso bewegt wie ein Akt von Klimt, wenn auch auf etwas verschiedene Weisen.
Wie gehen Gesichtsausdrücke in die Beurteilung von Schönheit ein? Dass wir uns von Gesichtern und insbesondere von Augen angezogen fühlen, scheint angeboren zu sein. Säuglinge wie auch Erwachsene betrachten Augen lieber als andere Merkmale eines menschlichen Gesichts, und sowohl Säuglinge als auch Erwachsene reagieren auf Blicke. Die Blickrichtung einer Person ist von großer Bedeutung, wenn wir die Gefühle verarbeiten, die sich im Gesicht dieser Person spiegeln, weil das Gehirn die Informationen über den Blick mit Informationen über den Gesichtsausdruck kombiniert. Die Koordination dieser Signale spielt eine entscheidende Rolle beim
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