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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Männern attraktiv, wenn Kinn, Kieferpartie, Stirn und Wangenknochen markant sind und die untere Gesichtshälfte relativ lang ist – Merkmale, die sich bei der erhöhten Testosteronproduktion in der Pubertät entwickeln. Solche Gesichtszüge und der damit zusammenhängende Überschuss an Testosteron lassen nicht nur auf ein gesteigertes sexuelles Verlangen schließen, sondern auch auf eine Veranlagung zu asozialem Verhalten, Aggression und Dominanzgebaren.
    Wenn hellhäutige europäische Männer und Frauen Bilder von hellhäutigen europäischen Frauen beurteilen, ziehen sie Abbildungen vor, in denen die als attraktiv empfundenen Merkmale übertrieben stark ausgeprägt sind. Das Gleiche gilt für japanische Männer und Frauen, die Bilder von japanischen Frauen bewerten. Dass in beiden Kulturen verblüffende Einigkeit darüber herrscht, welche Gesichtszüge als attraktiv gelten, lässt in Übereinstimmung mit den bereits erwähnten Studien vermuten, dass die übermäßige Ausprägung dieser Merkmale weltweit attraktiv wirkt. Perrett und seine Mitarbeiter sind der Ansicht, dass die Merkmale biologische Signale für sexuelle Reife, Fruchtbarkeit und emotionale Ausdrucksstärke übermitteln.
    Evolutionspsychologen haben darauf hingewiesen, dass sich die universell bevorzugten Gesichtszüge bei Jungen und Mädchen in der Pubertät entwickeln, wenn die Konzentration der Sexualhormone zunimmt. Die zierliche Kieferpartie, die Männer bei Frauen vorziehen, ist auf den Einfluss der Östrogene zurückzuführen, infolgedessen sich das weitere Wachstum des Kiefers verlangsamt. Entsprechend führt der Anstieg von Testosteron bei Männern, wie erwähnt, zu der von Frauen bevorzugten ausgeprägteren unteren Gesichtshälfte. Gemäß Darwins ursprünglichen Vermutungen behaupten die genannten Psychologen nun, dass die Entwicklung dieser Merkmale aufgrund der verstärkten Ausschüttung von Sexualhormonen wahrscheinlich bei primitiven Völkern – Jägern und Sammlern – ein deutlicher Hinweis auf die Paarungsbereitschaft einer Person war.
    Merkmale, in denen sich Männer und Frauen unterscheiden, wie dicke Augenbrauenwülste und eine breite Kieferpartie bei Männern sowie eine zierliche untere Gesichtshälfte, hohe Wangenknochen und volle Lippen bei Frauen, tragen ebenfalls zur Attraktivität eines Gesichts bei. Männer, die man nach den Persönlichkeitsmerkmalen von Frauen mit solchen Gesichtszügen befragte, meinten, diese Frauen seien meist uneigennützig und aufgrund ihres sexuellen Verhaltens und ihrer mütterlichen Eigenschaften bei der Partnersuche vorzuziehen.
    Bei einem Mann gilt das als schön, was für seine Fähigkeit spricht, eine Familie zu ernähren; die Bewertung der Schönheit eines Frauenkörpers bezieht sich vor allem auf dessen Fähigkeit, Kinder zu gebären. Im Allgemeinen bezeichnen Männer, ungeachtet von Nationalität oder sozialem Hintergrund, Frauen mit großen Brüsten und breiten Hüften als schön, weil diese als Fruchtbarkeitssymbole gelten. Es versteht sich von selbst, dass diese Stereotype, auch wenn sie kulturübergreifend verbreitet sind, lokal unterschiedlichen Wertmaßstäben unterliegen und es für die Beurteilung letztlich entscheidend ist, was man über die individuelle Person und ihre sozialen Eigenheiten und Werte weiß.
    Schiele war die latente Bedeutung verzerrter Gesichts- und Körpermerkmale völlig klar. Die Porträts, die er von seinem eigenen Körper anfertigte, weisen extreme anatomische Verfremdungen auf, die sich oft in aggressiv wirkenden spitzen Knochenhöckern und eckigen Konturen zeigen (Abb. 10-7). Die von ihm gemalten Gesichter sind ebenfalls durch Aggressionssignale gekennzeichnet. Doch da sich männliche und weibliche Züge nicht zwangsläufig gegenseitig ausschließen – so kann man beispielsweise eine maskuline Kieferpartie und ein feminines Kinn haben –, gelang es Schiele auch, weiblich anmutende Gesichtszüge zu betonen. Geschwungene Brauen, große Augen, eine kleine Nase, volle Lippen und ein schmales Gesicht verleihen Schieles Figuren eine sinnliche Intimität, wogegen die markante Kieferpartie und Stirn hitzige Aggression vermitteln (Abb. 10-6). Indem Schiele diese beiden Typen von Gesichtszügen in einem einzigen Gesicht und Körper einander gegenüberstellt, offenbart er auf subtile und wirkungsvolle Weise die beiden Freud’schen Triebe des Eros und Thanatos, die die von ihm gemalten Menschen beherrschen.
    1977 FÜHRTEN SUSAN CAREY UND RHEA DIAMOND,

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