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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Auslösen der primitiven emotionalen Reaktionen von Annäherung und Vermeidung. Hierbei handelt es sich um die zentralen Faktoren, die das soziale Miteinander steuern, und diese erfüllen somit vermutlich eine wichtige adaptive Funktion in der menschlichen Evolution.
    Reginald Adams von der Pennsylvania State University und Robert Kleck vom Dartmouth College haben herausgefunden, dass ein direkter Blick und ein glücklicher Gesichtsausdruck die Kommunikation sowie die Verarbeitung von Freude, Freundlichkeit und annäherungsorientierten Gefühlen erleichtern. Wie Uta Frith entdeckt hat, liegt dies daran, dass nur ein direkter Blick das dopaminerge Belohnungssystem aktiviert. Dagegen vermittelt ein abgewandter, betrübter oder ängstlicher Blick die vermeidungsorientierten Gefühle von Furcht und Traurigkeit. Blick und Gesichtsausdruck werden gemeinsam verarbeitet, andere Aspekte von Schönheit, wie Geschlecht und Alter, hingegen unabhängig voneinander.
    IN EINEM BIOLOGISCHEN EXPERIMENT, das die neuronalen Korrelate der Schönheit – das heißt, die Hirnmechanismen, auf denen unser Schönheitsempfinden beruht – untersuchen sollte, erforschten John O’Doherty und seine Mitarbeiter die Rolle des Lächelns. Sie stellten fest, dass die orbitofrontale (ventrolaterale) Region des präfrontalen Cortex, die durch Belohnung aktiviert wird und vermutlich das wichtigste Hirnareal für die Repräsentation von freudiger Erregung ist, auch auf attraktive Gesichter reagiert. Überdies verstärkt sich die Reaktion dieses Areals bei der Wahrnehmung eines Lächelns.
    Semir Zeki vom University College London hat festgestellt, dass die orbitofrontale Region auch auf andere, unterschwellig beglückende Bilder anspricht, die wir als schön empfinden. Zeki führte eine Studie durch, bei der die Teilnehmer zahlreiche Porträts, Landschaften und Stillleben betrachten und die Kunstwerke anschließend – unabhängig von deren Kategorie – als schön oder hässlich klassifizieren sollten. Während die Teilnehmer die Gemälde betrachteten, erstellte Zeki mit bildgebenden Verfahren Aufnahmen von ihrem Gehirn. Er entdeckte, dass sämtliche Porträts, Landschaften und Stillleben, gleichgültig ob die Betrachter sie schön oder hässlich fanden, die orbitofrontale, präfrontale und motorische Region des Cortex zum Leuchten brachten. Interessanterweise aktivierten die als besonders schön eingestuften Bilder jedoch am stärksten die orbitofrontale und am wenigsten die motorische Region, während die als besonders hässlich empfundenen Bilder am wenigsten die orbitofrontale Region aktivierten und am meisten die motorische Region. Die Aktivierung der motorischen Region des Cortex lässt Zeki vermuten, dass emotional besetzte Reize das Bewegungssystem mobilisieren und den Menschen darauf vorbereiten, sich bei Hässlichkeit oder einer Bedrohung von dem Reiz zu entfernen oder sich ihm bei Schönheit oder Lustgewinn zu nähern. Wie wir ja bereits wissen, aktivieren auch ängstliche Gesichter die motorische Region des Cortex.
    Der Kognitionswissenschaftler Camilo Cela-Conde baute auf Zekis Resultaten auf, indem er ein anderes Verfahren anwendete – die Magnetenzephalografie, die sich durch eine sehr gute zeitliche Auflösung auszeichnet. Er stellte die elektrische Aktivität im Gehirn der Teilnehmer dar, während sie ein Objekt betrachteten, das sie zuvor als schön klassifiziert hatten. Die Bildgebung offenbarte Veränderungen der Aktivität in der dorsolateralen Region des präfrontalen Cortex, die auf das Arbeitsgedächtnis spezialisiert ist, also auf diejenige Komponente des Kurzzeitgedächtnisses, die wir bei der Planung von Handlungen benötigen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. In der linken Hirnhälfte war die Aktivität stärker, was darauf hindeutet, dass sich Sprache und ästhetisches Empfinden möglicherweise parallel entwickelt haben. Cela-Conde behauptet, dass eine evolutionäre Veränderung im präfrontalen Cortex die Fähigkeit des modernen Menschen bewirkt habe, Kunst zu schaffen und auf sie zu reagieren. Wir werden später auf diese Behauptung zurückkommen, wenn wir uns mit Kreativität beschäftigen.
    Die Aktivierung des linken präfrontalen Cortex in Reaktion auf ein Objekt, das man zuvor als schön klassifiziert hatte, erfolgte nach einer relativ langen Zeitspanne (400 bis 1000 Millisekunden), verglichen mit der üblichen Reaktionszeit von 130 Millisekunden. Für Cela-Conde stimmt dieser Unterschied mit Zekis Vorstellung

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