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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Depressionen bei, die gesteigerte Aktivität des noradrenergen Systems kann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen, und die verminderte Aktivität des cholinergen Systems geht bei bestimmten Formen der Alzheimer-Erkrankung mit kognitiver Dysfunktion einher. Wenn sie reibungslos funktionieren, halten diese Regulierungssysteme unsere Wahrnehmungen und Reaktionen auf einem Niveau, das wir als normal empfinden.
    DAS ERSTE BOTTOM-UP-REGULIERUNGSSYSTEM, das man eingehend erforscht hat, war das dopaminerge System, dessen Neuronen den Transmitter Dopamin freisetzen und an der Übermittlung von Belohnungen beteiligt sind. Von allen regulierenden Neuronen sind die dopaminergen im menschlichen Gehirn am stärksten vertreten – es gibt etwa 450000, die sich gleichmäßig auf die beiden Hirnhälften verteilen. Die Zellkörper dieser Neuronen finden sich in zwei Regionen des Mittelhirns: in der Substantia nigra und im ventralen tegmentalen Areal. Die Substantia nigra verfügt über die meisten dopaminergen Zellen; die Axone dieser Zellen erstrecken sich zu den Basalganglien, um das Einleiten von Bewegungen in Reaktion auf Umweltreize zu erleichtern. Im ventralen Tegmentum, das bei Belohnungen eine Rolle spielt, befinden sich weniger Neuronen; deren Axone reichen in den Hippocampus, die Amygdala und den präfrontalen Cortex. Demnach sind die Axone der dopaminergen Neuronen weit gefächert und regulieren mehrere Hirnsysteme.
    Dass das dopaminerge System mit Belohnungen zu tun hat, wurde 1954 zufällig von James Olds und Peter Milner festgestellt. Die beiden Forscher machten die bemerkenswerte Entdeckung, dass die elektrische Stimulation verschiedener Areale tief im Gehirn Verhalten verstärken kann, das eine Belohnung hervorruft. Verblüffenderweise ist diese tiefe Hirnstimulation bei ganz verschiedenartigen Tieren, einschließlich Menschen, ebenso wirksam wie normale Belohnungen – aber es gibt einen wichtigen Unterschied. Während normale Belohnungen nur dann wirksam sind, wenn sich das Tier in einem spezifischen Triebzustand befindet – so wirkt Futter nur dann als Belohnung, wenn das Tier hungrig ist –, wirkt die tiefe Hirnstimulation ganz unabhängig vom Triebzustand des Tieres. Ratten, die lernen, sich durch Drücken eines Hebels selbst zu stimulieren, ziehen die Selbststimulation sogar Futter und Sex vor. In seinem Artikel in Science von 1955 berichtete Olds, dass die Tiere im Allgemeinen nach mehreren Wochen kontinuierlicher Selbststimulation an Unterernährung und Erschöpfung starben. Diese Beobachtung führte ihn und Milner zu der Vermutung, dass die tiefe elektrische Hirnstimulation neuronale Systeme aufruft, die sonst durch Belohnungen aktiviert werden.
    Was sind Belohnungen? Es können Gegenstände sein, Reize, Aktivitäten oder innere körperliche Zustände, die für einen Menschen oder ein Tier positiv besetzt sind. Sie verschaffen ihm ein subjektives Wohlbefinden und tragen zu positiven Gefühlen bei. Belohnungen fungieren als positive Verstärker und steigern damit Häufigkeit oder Intensität von Verhaltensweisen, die zum Erreichen eines Ziels führen.
    Die Komplexität der Interaktion zwischen einer Person und ihrer Umwelt erfordert spezifische Mechanismen; diese sollen nicht nur das Vorhandensein von Reizen entdecken, die eine Annäherungs- oder auch Vermeidungsreaktion hervorrufen, sondern auch das zukünftige Auftreten solcher Reize aufgrund früherer Erfahrungen vorhersagen. Was Belohnungen und das Vorhersagen von Belohnungen angeht, waren die brillanten Experimente über klassische Konditionierung – Assoziationslernen – äußerst aufschlussreich, die Iwan Pawlow zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchführte (siehe Kapitel 18).
    Man hat herausgefunden, dass das dopaminerge System nicht nur auf Belohnungen reagiert, sondern sogar noch stärker auf Reize, die Belohnungen vorhersagen. Viele Jahre lang glaubten Psychologen, die klassische Konditionierung beruhe auf der gemeinsamen Präsentation von konditioniertem (neutralem, sensorischem) Reiz und unkonditioniertem Reiz (Belohnung), sodass die beiden als miteinander verknüpft empfunden würden. Nach dieser Ansicht wird bei jeder Koppelung der beiden Reize die neuronale Verbindung zwischen ihnen verstärkt, bis diese schließlich so stark ist, dass sie eine Verhaltensänderung hervorruft. Man glaubte, die Stärke der Konditionierung hinge allein von der Anzahl der Koppelungen ab.
    Dann gelang im Jahre 1969 Leon Kamin, einem amerikanischen

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