Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
erfreuen, einen Sonnenuntergang bewundern, uns ein gutes Essen schmecken lassen oder ein befriedigendes sexuelles Erlebnis haben. All diese Erfahrungen besitzen Dimensionen, die über die Bottom-up-Ausschüttung von Dopamin hinausgehen. Wie wir noch sehen werden, gibt es außerdem Top-down-Einflüsse, die diese spezielle Erfahrung mit anderen bereits erlebten Erfahrungen und Freuden verknüpfen. Demnach löst der unmittelbare physische Reiz des Erlebens sowohl bei Gefühlen der Freude als auch beim Wahrnehmen von Kunst und Schönheit zusätzlich eine unbewusste kognitive Verknüpfung aus, die die Erfahrung in einen weiteren Kontext stellt.
DAS ZWEITE BOTTOM-UP-REGULIERUNGSSYSTEM lindert Schmerzen und dreht den Lautstärkeregler für Freude hoch – wenn wir zum Beispiel ein Kunstwerk bewundern –, indem es Neurotransmitter freisetzt, die wir als Endorphine bezeichnen. Die Endorphine sind Peptide, komplexe Moleküle aus Ketten von sechs oder sieben Aminosäuren, und fungieren als natürliche Schmerzmittel des Körpers. Endorphine werden vom Hypothalamus freigesetzt und regulieren die Hirnanhangdrüse (Hypophyse). In ihrer Fähigkeit, schmerzhafte Reize zu blockieren und ein Gefühl des Wohlbefindens hervorzurufen, ähneln sie dem Morphium. Sehr anstrengende körperliche Betätigung stimuliert die Ausschüttung von Endorphinen und kann auf diese Weise zum sogenannten Runner’s High oder »Läuferhoch« führen. Tatsächlich beschreiben Athleten, wenn sie keinen Sport betreiben, ihren Zustand oft als lethargisch und depressiv; dies geht auf den Endorphinentzug zurück. Die Freisetzung von Endorphinen erfolgt auch bei Aufregung, Schmerzen, stark gewürztem Essen und Orgasmen.
John Hughes und und Hans Kosterlitz entdeckten die Endorphine 1975 bei Forschungen in Schottland. Endorphine binden an Opioidrezeptoren im Gehirn, die ihrerseits von Solomon Snyder an der Johns Hopkins University entdeckt wurden. Man geht davon aus, dass die Freisetzung von Endorphinen auf die gleichen Reize hin erfolgt, die auch die Ausschüttung von Dopamin bewirken, und dass sie die gleichen Gefühle des Wohlbefindens wie Dopamin auslösen.
DAS DRITTE REGULIERUNGSSYSTEM setzt Oxytocin und Vasopressin frei; diese Neurotransmitter sind wichtig für geschlechtliche Partnerschaft und elterliche Fürsorge, allgemeiner aber auch für soziales Verhalten, soziale Kognition und unsere Fähigkeit, die Gedanken und Absichten anderer Personen zu lesen. Oxytocin und Vasopressin sind Peptide und werden im Hypothalamus gebildet (wie die meisten Peptidtransmitter). Beide werden zum hinteren Lappen der Hirnanhangdrüse transportiert und dort freigesetzt und aktivieren Rezeptoren überall im Gehirn.
Oxytocin und Vasopressin finden sich bei einer Vielzahl von Tieren, von Würmern über Fliegen bis hin zu Säugetieren, und ihre Gene ähneln sich bei all diesen Tieren verblüffend stark. Viele unserer Erkenntnisse über die Wirkungen von Vasopressin und Oxytocin verdanken wir den bahnbrechenden Experimenten von Tom Insel, Larry Young und ihren Mitarbeitern. Sie untersuchten Präriewühlmäuse und Rocky-Mountains-Wühlmäuse, zwei eng verwandte Arten mäuseartiger Nagetiere, die sich in ihrem Paarungsverhalten deutlich unterscheiden.
Präriewühlmäuse gehen zur Aufzucht ihrer Jungen monogame Paarbindungen ein, wogegen Rocky-Mountains-Wühlmäuse promiskuitiv sind und als Einzelgänger in ihren Bauten leben. Diese Unterschiede zeigen sich bereits in den ersten Lebenstagen. Unmittelbar nach der Paarung offenbaren Männchen und Weibchen der Präriewühlmaus eine beständige Vorliebe füreinander und bleiben lebenslang zusammen. Männliche Präriewühlmäuse helfen den Weibchen bei der Jungenaufzucht und entwickeln ein aggressives Verhalten gegenüber anderen Männchen. Dagegen zeugen männliche Rocky-Mountains-Wühlmäuse mit vielen verschiedenen Weibchen Nachkommen und kümmern sich nicht weiter um ihren Nachwuchs. Der auffällige Unterschied im Verhalten dieser Wühlmausmännchen korreliert mit den signifikant verschiedenen Mengen von Vasopressin, die in ihren Gehirnen freigesetzt werden. Die bindungsfreudigen Präriewühlmäuse schütten bei der Paarung hohe Konzentrationen von Vasopressin aus, während die promiskuitiven Rocky-Mountains-Wühlmäuse niedrigere Konzentrationen freisetzen. Weibliche Präriewühlmäuse binden sich auch dank Oxytocin an ihre männlichen Partner. Bei einer Vielzahl von Spezies, darunter Menschen, Nagetiere und Kaninchen,
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