Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Psychologen, eine Entdeckung, die heute allgemein als bedeutendste empirische Erkenntnis über Konditionierung seit Pawlows ersten Einsichten gilt. Kamin stellte fest: Tiere lernen nicht einfach nur, dass der neutrale Reiz der Belohnung voraufgeht, sondern vielmehr, dass der neutrale Reiz die Belohnung vorhersagt . Assoziationslernen hängt demzufolge nicht von einer kritischen Anzahl an Reizkoppelungen ab, sondern davon, wie effektiv eine biologisch signifikante Belohnung von dem neutralen Reiz vorhergesagt wird.
Diese Erkenntnisse lassen vermuten, warum Tiere und Menschen so empfänglich für klassische Konditionierung sind. Alle Formen des Assoziationslernens haben sich wahrscheinlich entwickelt, weil sie uns ermöglichen, Ereignisse, die regelmäßig gemeinsam auftreten, von solchen zu unterscheiden, die nur zufällig miteinander verknüpft sind – denn das wiederum versetzt uns in die Lage, ein bestimmtes Ergebnis vorherzusagen. So haben wir möglicherweise gelernt, den Genuss eines köstlichen Rotweins zu erwarten, sobald uns das Bukett eines guten, vollmundigen Châteauneuf-du-Pape in die Nase steigt.
Lernen geschieht immer dann, wenn ein tatsächliches Ergebnis vom vorhergesagten Ergebnis abweicht. Viele Verhaltensweisen unterliegen dem Einfluss von Belohnungen und erleben langfristige Veränderungen, wenn sich die tatsächlichen Belohnungen von den vorhergesagten unterscheiden. Sind tatsächliche und vorhergesagte Belohnung identisch, bleibt das Verhalten unverändert.
Physiologische Studien haben erbracht, dass dopaminerge Neuronen bei verschiedenen Formen des belohnungsbasierten Lernens aktiviert werden, und zwar nicht nur durch vorhergesagte Belohnungen, sondern auch durch unerwartete Belohnungen und durch Fehler beim Vorhersagen von Belohnungen. Solche Fehler schlagen sich in Schwankungen in der Dopaminausschüttung nieder. Diese Ergebnisse legten die Vermutung nahe, dass Dopamin als Lernsignal fungiert. Wegen ihrer Verbindungen zur Amygdala regulieren dopaminerge Neuronen wahrscheinlich die Reaktion der Amygdala auf erwartete, positiv verstärkende Reize, wie sie beispielsweise in Lernexperimenten auftreten.
Wolfram Schultz, der zurzeit an der Cambridge University in England arbeitet, hat gezeigt, wie sich dopaminerge Neuronen im Lernprozess verhalten. Als er Aufzeichnungen von Zellen im ventralen tegmentalen Areal und in der Substantia nigra erstellte, entdeckte er, dass unerwartete Belohnungen, das Vorhersagen von Belohnungen und Fehler bei den Vorhersagen diese Neuronen aktivieren. Angesichts von Fehlern werden die Zellen aktiviert, wenn eine Belohnung besser als vorher angenommen ausfällt, und deaktiviert, wenn sie schlechter ausfällt. Eine Aktivierung dieser Neuronen erfolgt darüber hinaus, wenn Belohnungen zu unerwarteten Zeitpunkten auftreten, und wird unterdrückt, wenn Belohnungen zu vorhergesehenen Zeiten ausbleiben. Auf Belohnungen, die genauso ausfallen wie erwartet, reagieren die Zellen nicht.
Schultz’ Resultate entsprechen Darwins polarer Sichtweise der emotionalen Steuerung, das heißt seiner Annahme von Annäherung und Vermeidung (Kampf oder Flucht). Seine Erkenntnisse lassen vermuten, dass die tatsächliche Erfahrung von Belohnungen wie Nahrung, Sex oder Drogen, aber auch bereits Reize, die diese Belohnungen vorhersagen, die dopaminergen Neuronen aktivieren. Somit wird die Ausschüttung von Dopamin schon durch die kleinste Vorfreude in Gang gesetzt, selbst wenn das betreffende Ereignis niemals eintritt.
Die Reaktion dopaminerger Neuronen auf vorhergesehene Belohnungen ist möglicherweise die physiologische Grundlage für das Vergnügen, das wir beim Betrachten eines Kunstwerks empfinden. Kunst löst vielleicht deshalb Gefühle des Wohlbefindens aus, weil sie biologische Belohnungen vorhersagt (Abb. 26-4), auch wenn weitere Belohnungen, die über die Freude des Betrachtens und der indirekten Erfahrung hinausgehen, unter Umständen niemals Realität werden.
Wie zu erwarten, erzeugen Drogen, die die natürliche Wirkung von Dopamin verstärken oder erweitern, ein Gefühl intensiven Wohlbefindens. In der Tat machen sich viele Suchtmittel, wie Kokain und Amphetamin, das dopaminerge System zunutze und tricksen das Gehirn aus, indem sie ihm eine Belohnung vorgaukeln und dadurch ein Suchtverhalten auslösen.
Abb. 26-4.
Dopaminerge Neuronen im Striatum reagieren auf alle Arten von Vergnügen.
Die Schaltkreise im Gehirn für Genuss feuern auch, wenn wir uns an einem Kunstwerk
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