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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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dort vor allem den präfrontalen Cortex. Noradrenalin versetzt uns in die Lage, unerwarteten Umweltreizen, insbesondere schmerzhaften, wachsam und aufnahmebereit zu begegnen. Es erhöht Puls und Blutdruck und ist eine wichtige Komponente der Kampf-oder-Flucht-Reaktion.
    Noradrenerge Neuronen sind entscheidend für Aufmerksamkeit. Wird die Freisetzung von Noradrenalin bei einem Tier blockiert, so beeinträchtigt das zwar nicht seine Erinnerung an ein bestimmtes kognitives Ereignis, wohl aber die Erinnerung an den emotionalen Gehalt des Ereignisses. Wenn man demzufolge bei Tieren, die klassisch auf Angst konditioniert wurden, die Ausschüttung von Noradrenalin hemmt, beeinträchtigt dies die Erinnerung des Tieres an den schmerzhaften Reiz; verabreicht man ihnen hingegen eine Substanz, die die Wirkung von Noradrenalin intensiviert, so verstärkt dies die Erinnerung des Tieres an den schmerzhaften Reiz und somit auch seine Furcht.
    Entsprechend erinnerten sich Versuchspersonen, denen man vor der Präsentation von Bildern in Verbindung mit einer gefühlvollen Geschichte ein Placebo verabreicht hatte, am lebhaftesten an die Bilder, die sie während der emotionalsten Passagen der Geschichte gesehen hatten. Bei Personen, die ein Mittel erhalten hatten, das die Wirkung von Noradrenalin einschränkt, blieben diese Bilder nicht besser im Gedächtnis haften.
    DAS FÜNFTE BOTTOM-UP- REGULIERUNGSSYSTEM, das serotonerge System, ist möglicherweise das älteste. Wirbellose, wie Fliegen und Schnecken, die kein Noradrenalin bilden, regulieren ihr Verhalten mit Serotonin. Bei Menschen befinden sich serotonerge Neuronen in neun paarigen Gruppen an der Medianlinie des Hirnstamms. Ihre Axone erstrecken sich in mehrere Hirnregionen, darunter Amygdala, Striatum, Hypothalamus und Neocortex. Diese Neuronen sind für Erregung, Wachsamkeit und Stimmungen von Bedeutung. Beim Menschen sind niedrige Serotoninkonzentrationen mit Depression, Aggression und Sexualität korreliert; extrem niedrige Konzentrationen gehen häufig mit Selbstmordversuchen einher.
    Tatsächlich beruht die wirksamste pharmakologische Behandlung einer Depression auf der Fähigkeit bestimmter Substanzen, die Serotoninkonzentrationen im Gehirn zu erhöhen. Hohe Konzentrationen von Serotonin korrelieren mit Ruhe, Meditation, Selbsttranszendenz sowie religiösen und spirituellen Erfahrungen. Drogen wie LSD , die bestimmte Gruppen von Serotoninrezeptoren regulieren, führen zu Euphorie und Halluzinationen mit oftmals spirituellen Anteilen.
    DAS SECHSTE BOTTOM-UP-REGULIERUNGSSYSTEM ist das cholinerge System; es setzt Acetylcholin frei und reguliert den Schlaf-Wach-Zyklus sowie Aspekte der kognitiven Leistungsfähigkeit, Lernen, Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Cholinerge Neuronen finden sich in mehreren Hirnregionen und ihre Axone erstrecken sich bis in Hippocampus, Amygdala, Thalamus, den präfrontalen Cortex und die Großhirnrinde. Cholinerge Neuronen regulieren die Ausschüttung von Dopamin und können so auf Belohnungen und Fehler beim Vorhersagen von Belohnungen einwirken. Eine besonders wichtige Gruppe cholinerger Neuronen, die im basalen Vorderhirn angesiedelt ist, ist am Speichern von Erinnerungen beteiligt; sie sendet ihre Axone zur Amygdala, zum Hippocampus und zum präfrontalen Cortex.
    DIE SECHS BOTTOM-UP-REGULIERUNGSSYSTEME sind schon recht alt. Sie wurden von der Evolution zur Steuerung positiver und negativer Emotionen bewahrt und finden sich nicht nur bei Wirbeltieren, sondern auch bei Wirbellosen, wie Würmern, Taufliegen und Meeresschnecken. Obwohl sich die Systeme in ihren Funktionen überlappen, hat jedes System auch ganz spezifische Wirkungen. Insgesamt sind sie von entscheidender Bedeutung für unser Wohlbefinden, die koordinierte Funktionsweise des Gehirns sowie unsere Fähigkeit, angemessen auf die Umwelt zu reagieren und Vorhersagen über sie zu treffen.
    DARÜBER HINAUS HABEN WIR Top-down-Regulierungssysteme entwickelt, die eine kognitive Kontrolle über positive wie negative Wahrnehmungen und Emotionen ausüben. Diese Kontrolle ist in den oberen Ebenen der Großhirnrinde repräsentiert. Die Fähigkeit, Emotionen zu kontrollieren, zu beurteilen und, falls notwendig, neu zu bewerten, ist für die Effektivität unserer geistigen Funktionen von zentraler Wichtigkeit.
    Es gibt Zeiten voller Konflikte, Misserfolge und Verluste, in denen sich alles gegen uns verschworen zu haben scheint, und doch sind wir im Allgemeinen außergewöhnlich gut in der Lage, die

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