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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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unterschiedlicher Funktionen umfasst, wollte Philosophen, Psychologen und Neurowissenschaftlern bis vor kurzem keine genaue Definition gelingen. Zuweilen versteht man unter Bewusstsein aufmerksames Wahrnehmen, wie in »Sie hörte bewusst zu«. Dann wieder bezeichnet man mit Bewusstsein einfach den Zustand des Wachseins, wie in »Kurz nach der Operation erlangte er das Bewusstsein wieder«. Das größte Problem für die Neurowissenschaftler besteht darin, dass jede Bewusstseinstheorie letztlich auf die introspektive Erfahrung zurückgreifen muss, auf das Empfinden des Selbst und von Gefühlen, und dieses Phänomen ist einer objektiven wissenschaftlichen Untersuchung nicht leicht zugänglich.
    Michael Shadlen, der zurzeit an der Columbia University arbeitet, hat eine stimmigere und umfassendere Definition des Bewusstseins entwickelt. Er unterstreicht, dass sich die verschiedenen Bewusstseinsmerkmale zwei Komponenten zuteilen lassen; die eine beruht auf einer empirischen, psychologisch-neurologischen Perspektive, die andere auf einer philosophischen. Die psychologisch-neurologische Perspektive konzentriert sich auf die Aspekte des Bewusstseins, die bei der Interaktion mit der Umwelt mit Erregung und den verschiedenen Wachzuständen verknüpft sind. In diesem Zusammenhang versteht man unter fehlendem Bewusstsein Zustände wie Schlaf, Narkotisierung oder Koma, die eine solche Interaktion verhindern. Dagegen richtet die philosophische Perspektive ihr Augenmerk auf mentale Prozesse, die durch subjektive, persönliche Aspekte gekennzeichnet sind, wie das bewusste Wahrnehmen des Selbst. Auf diesen Anteilen des Bewusstseins beruht unser Vermögen zur Introspektion, unsere Fähigkeit zu erzählen und unser Empfinden eines freien Willens.
    Antonio Damasio bezeichnet diesen subjektiven Aspekt des Bewusstseins als »Selbst-Prozess«. In diesem Prozess, so behauptet er, konstruieren wir subjektive geistige Bilder in Reaktion auf körperliche Zustände, ganz ähnlich wie wir auch bewusste Gefühle in Reaktion auf körperliche Zustände erleben. Der »Selbst-Prozess« ermöglicht unserem bewussten Empfinden, unsere eigene Geschichte und die unserer Umwelt zu erfahren. Laut Damasio setzt Erfahrung jemanden voraus, der die Erfahrung macht, um so eine Subjektivität zu schaffen – sonst würden uns unsere Gedanken nicht gehören.
    Die Aspekte des Bewusstseins, die uns erstmals die philosophische, subjektive Perspektive vor Augen geführt hat, stellen die Neurowissenschaft immer noch vor Probleme, weil sie die introspektive Erfahrung betreffen, also eine subjektive, persönliche Sichtweise, die der wissenschaftlichen Beobachtung noch nicht ohne weiteres zugänglich ist. Dennoch hat man sich in den letzten Jahren erstaunlich weitgehend auf eine Menge zentraler Konzepte geeinigt, die mittlerweile in die meisten Theorien des psychologisch-neurologischen Bewusstseinsansatzes eingehen.
    Diese Annäherung der verschiedenen Perspektiven beruht auf folgender Entdeckung: Unserer bewussten Fähigkeit, über eine Wahrnehmungserfahrung zu berichten, liegt eine synchrone Aktivität in der Großhirnrinde zugrunde, die einige Zeit nach der Präsentation eines Reizes auftritt und dann weiträumig in relevante Areale im präfrontalen und parietalen Cortex übertragen wird. Diese Übertragung erleben wir als bewussten Wahrnehmungszustand. Das erste zentrale Konzept führte William James in seinem Lehrbuch The Principles of Psychology ein. Er beschrieb das Bewusstsein als ein Überwachungssystem, ein zusätzliches Organ, dessen Aufgabe darin besteht, ein Nervensystem zu steuern, das so komplex ist, dass es sich nicht selbst steuern kann. Diese Auffassung wurde später zu der Vorstellung umformuliert, dass Informationen nur dann bewusst werden, wenn sie in diesem Überwachungssystem der Aufmerksamkeit repräsentiert sind und in alle möglichen Bereiche der Großhirnrinde gelangen. In jüngerer Zeit haben Francis Crick und Christof Koch die Vermutung geäußert, Bewusstsein beruhe auf der Bildung stabiler Neuronenverknüpfungen im gesamten Gehirn, wobei der präfrontale Cortex eine wesentliche Rolle spielt.
    Im Jahre 1988 integrierte der Kognitionspsychologe Bernard Baars einige dieser Ideen in ein Bewusstseinskonzept, das er Theorie der Globalen Werkstätte nennt. Seitdem haben verschiedene Forscher, die sich mit der Biologie des Bewusstseins beschäftigen, diese Theorie übernommen und erweitert. Sie besagt, dass das Bewusstsein dem momentanen, aktiven,

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