Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
subjektiven Erfahren des Arbeitsgedächtnisses entspricht. Laut Baars hat das Bewusstsein nicht nur einen einzelnen Ausgangspunkt im Gehirn; es kann vielmehr vorbewusst von einer Reihe verschiedener Hirnareale angeregt werden. Diese Areale bilden ein weitverzweigtes Netzwerk, das Baars als globale Werkstätte bezeichnet. Damit die Informationen dem Bewusstsein zugänglich sind, müssen die vorbewussten Informationen von den Ausgangsarealen ins gesamte Gehirn übertragen werden. Nach dieser Auffassung ist Bewusstsein also die ausgedehnte Verbreitung oder Übertragung vorbewusster Informationen.
Die Theorie der Globalen Werkstätte hat drei Komponenten, die Baars mithilfe einer Theatermetaphorik beschreibt: 1) einen hellen Scheinwerfer der Aufmerksamkeit, der auf die momentane Handlung gerichtet ist, 2) nicht in Erscheinung tretende Ensemble- und Crewmitglieder, die an der unmittelbaren Handlung nicht beteiligt sind, und 3) das Publikum. Die Metapher repräsentiert den menschlichen Geist – seine bewussten wie auch unbewussten Funktionen. Der Geist besteht nicht einfach aus Darstellern, Mitarbeitern oder Zuschauern, sondern aus dem interaktiven Netzwerk, das sie verbindet.
In Baars’ Theater entspricht der bewusste Zugang dem Scheinwerfer der Aufmerksamkeit , der auf die Hauptakteure auf der Bühne gerichtet ist. Da sich das Bewusstsein zu einem gegebenen Zeitpunkt nur auf eine begrenzte Menge an Informationen konzentrieren kann, beleuchtet der Scheinwerfer immer nur einen kleinen Teil der Bühne und nur einige wenige der zahlreichen Ensemble- und Crewmitglieder. Die angestrahlte Handlung auf der Bühne – der bewusste Inhalt – entspricht unserem Arbeitsgedächtnis in Bezug auf ein einzelnes Ereignis, das heißt einer Erinnerung, die nicht mehr als 16 bis 30 Sekunden anhält.
Der bewusste Inhalt wird dann übertragen und auf andere Beteiligte verteilt – auf alle Zuschauer und viele Ensemble- und Crewmitglieder hinter den Kulissen, eine riesige Anordnung unbewusster, autonomer, spezialisierter Hirnnetzwerke, die ihren Beitrag zu der kleinen Menge an bewussten Informationen liefern, welche der Scheinwerfer der Aufmerksamkeit beleuchtet.
Baars’ Theorie der globalen Werkstätte passt bestens zu dem, was wir heute über die neuronale Architektur des Bewusstseins wissen. Der kognitive Neurowissenschaftler Stanislas Dehaene und der theoretische Neurowissenschaftler Jean-Pierre Changeux, die beide am Collège de France in Paris arbeiten, haben Baars’ Theorie in einem neuronalen Modell dargestellt. Nach diesem Modell ist das, was wir als bewussten Zugang erleben, die Auswahl und Verstärkung einer einzelnen Information sowie ihre Übertragung in viele verschiedene Großhirnrindenbereiche. Das neuronale Netzwerk des Modells besteht aus bestimmten Pyramiden-Neuronen im präfrontalen Cortex und an anderen Stellen der Großhirnrinde.
Bei der näheren Erforschung dieser Übertragungsfunktion hat Dehaene insbesondere den Übergang von unbewusster zu bewusster Wahrnehmung untersucht. Ein auf die Netzhaut geworfenes Bild muss, wie erwähnt, einige wesentliche Transformationen durchlaufen, bevor wir es bewusst wahrnehmen. Diese Verarbeitungsverzögerung betrifft alle sensorischen Informationen, die in unser Bewusstsein und möglicherweise auch in unsere Gedächtnisspeicher, Emotionen, Empfindungen und Absichten vordringen. Weil sensorische Informationen zuerst einer vorläufigen Verarbeitung unterzogen werden müssen, liegt der Ursprung sämtlicher Ereignisse, die uns bewusst werden, zwangsläufig im Unbewussten. Die Beobachtung Libets, dass unser Entschluss zu einer Bewegung zunächst unbewusst erfolgt, trifft auch auf alle sensorischen Prozesse, einschließlich des Sehens, zu. Damit ergibt sich eine interessante Frage, an deren Beantwortung sich Dehaene versucht hat: An welchem Punkt der Verarbeitung eines Reizes wird unser Bewusstsein aktiviert? An welchem Punkt nehmen wir eine Information nicht mehr nur unbewusst, sondern bewusst wahr?
Abb. 29-1.
Im Gehirn links ist die weitverzweigte neuronale Aktivität in Reaktion auf ein bewusst wahrgenommenes geschriebenes Wort zu sehen. Das Gehirn rechts zeigt die lokal begrenzte neuronale Aktivität in Reaktion auf ein unbewusst wahrgenommenes geschriebenes Wort. In diesem Fall ist das Wort von einem Maskierreiz umgeben – einer Menge von Reizen, die mit dem eigentlichen Reiz nicht verknüpft sind und unmittelbar vor oder nach dem Wort präsentiert werden. Dieser
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