Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Teil unbewusst funktioniert – genauer gesagt, das prozedurale Gedächtnis für perzeptuelle, motorische und sogar kognitive Fertigkeiten.
In einem typischen Experiment über Entscheidungsfindung erhielten die Versuchspersonen von Dijksterhuis komplexe und detaillierte Informationen über vier verschiedene Wohnungen. Darin wurde eine Wohnung negativ dargestellt, zwei Wohnungen neutral und die vierte positiv. Alle Teilnehmer bekamen die gleichen Informationen, die ihnen helfen sollten, sich für eine Wohnung zu entscheiden. Dann teilte man die Teilnehmer in drei Gruppen auf. Eine Gruppe musste ihre Bewertung unmittelbar nach dem Lesen der Informationen abgeben; ihre Mitglieder ließen sich stark vom ersten Eindruck leiten. Die zweite Gruppe musste sich entscheiden, nachdem man den Teilnehmern drei Minuten Zeit eingeräumt hatte, um über die Informationen nachzudenken; diese Teilnehmer verließen sich auf bewusste Überlegungen. Die dritte Gruppe sollte ihre Entscheidung treffen, nachdem man sie drei Minuten lang mit einer Aufgabe, etwa einem Anagramm, abgelenkt hatte, die sie vom bewussten Nachdenken abhielt. Auf diese Weise räumte man ihnen eine Phase unbewussten Denkens ein. Verblüffenderweise hatte diese dritte – abgelenkte – Gruppe mit Abstand die wenigsten Probleme damit, sich für die beste Wohnung zu entscheiden. Die beiden anderen Gruppen fanden es zu schwierig, so viele verschiedene Faktoren gleichzeitig zu berücksichtigen, und trafen eine weniger kluge Entscheidung.
Dieses Resultat scheint der Intuition zuwiderzulaufen. Man ist geneigt anzunehmen, dass komplexe Entscheidungen mit einer Reihe unterschiedlicher Variablen eine detaillierte, bewusste Analyse erfordern. Im Gegensatz dazu behauptet Dijksterhuis, dass die diffusen Ressourcen unbewusster Denkprozesse für Überlegungen, in die mehrere Variablen eingehen, besser geeignet sind. Wir haben ja bereits in Bezug auf visuelle Wahrnehmung und Emotionen gesehen, dass das Gehirn sowohl eine Top-down- als auch eine Bottom-up-Verarbeitung durchführt. Bewusstes Denken ist ein Top-down-Prozess, der von Erwartungen und inneren Modellen gesteuert wird; er ist hierarchischer Natur. Laut Dijksterhuis ist unbewusstes Denken ein nicht-hierarchischer Bottom-up-Vorgang und erlaubt daher möglicherweise mehr Flexibilität beim Finden neuer Kombinationen und Modifikationen von Ideen. Während bewusste Denkprozesse Informationen schnell integrieren und damit gelegentlich eine widersprüchliche Gemengelage erzeugen, integrieren unbewusste Denkprozesse Informationen langsamer, was ein eindeutigeres, vielleicht auch konfliktfreieres Gefühl hervorruft.
Diese Betonung der unbewussten Denkvorgänge ist nicht neu. Der Philosoph Arthur Schopenhauer, der Freud maßgeblich beeinflusste, schrieb im 19. Jahrhundert über die Bedeutung unbewusster geistiger Prozesse für kreative Problemlösungen:
Fast möchte man glauben, daß die Hälfte alles unsers Denkens ohne Bewußtsein vor sich gehe. … Ich habe mich mit den faktischen Datis einer theoretischen, oder praktischen Angelegenheit bekannt gemacht: oft nun wird, ohne daß ich wieder daran gedacht hätte, nach einigen Tagen, das Resultat, wie nämlich die Sache sich verhalte, oder was dabei zu thun sei, mir ganz von selbst in den Sinn kommen, und deutlich vor mir stehn; wobei die Operation, durch die es zu stande gekommen, mir so verdeckt bleibt, wie die einer Rechenmaschine: es ist eben eine unbewußte Rumination gewesen. 205
Es gab auch eine Reihe von Experimenten, die die Umstände beleuchtet haben, unter denen eine bewusste Entscheidungsfindung der unbewussten überlegen ist. Viele Entscheidungen betreffen Alternativen, die sich in ihrer Wahrscheinlichkeit und Nützlichkeit unterscheiden. In solchen Fällen ist es das Beste, den erwarteten Nutzen einer gewählten Alternative zu maximieren, was möglicherweise bewusste Aufmerksamkeit verlangt. Faszinierend bleibt jedoch die Tatsache, dass wir überhaupt in der Lage sind, mithilfe unbewusster geistiger Prozesse wichtige Entscheidungen zu fällen, und dass diese unbewussten Prozesse unsere Kreativität befördern könnten.
DIE IDEE, DASS KREATIVITÄT AUF unbewussten geistigen Prozessen beruhen kann, stammte ursprünglich von Ernst Kris. Er behauptete, kreative Menschen hätten Momente, in denen sie auf kontrollierte Weise eine relativ freie Kommunikation zwischen ihrem unbewussten und bewussten Selbst erlebten. Kris nannte diesen kontrollierten Zugang zum unbewussten
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