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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Denken, der durch Top-down-Folgerungsprozesse des Gehirns vermittelt wird, Regression im Dienste des Ich . In kreativen Momenten, so erläuterten er und Ernst Gombrich, führen Künstler willentlich eine Regression herbei, die dem Schaffensprozess dienlich ist. Dagegen erfolgen Regressionen in frühere, primitivere psychische Funktionsweisen, die während einer psychotischen Episode auftreten, unwillentlich; sie unterliegen nicht der Kontrolle der betroffenen Person und nützen ihr im Allgemeinen nicht. Künstlern gelingt es jedoch mithilfe dieser kontrollierten Regressionen, die Kraft unbewusster Triebe und Sehnsüchte in den Vordergrund ihrer Bilder zu holen. Weil die Vertreter der österreichischen Moderne so vertraut mit solchen Regressionen waren, waren sie möglicherweise auch in der Lage, die Themen der Sexualität und Aggression so authentisch darzustellen, und besaßen ein solch unfehlbares intuitives Gespür für Übertreibungen und Verzerrungen, mit denen sich das emotionale Fundament des Sehsystems erfolgreich aktivieren ließ.
    In Anlehnung an Freud geht Kris davon aus, dass unbewusste geistige Prozesse eine andere Logik und Sprache aufweisen als bewusste. Unbewusste geistige Prozesse zeichnen sich seiner Meinung nach durch primärprozesshaftes Denken aus. Merkmale eines solchen Denkens sind Analogie, freie Assoziation, konkrete Bilder (im Gegensatz zu abstrakten Begriffen) und Befolgung des Lustprinzips. Bewusste geistige Prozesse hingegen unterliegen sekundärprozesshaftem Denken; dieses ist abstrakt, logisch und orientiert sich an der Realität. Weil primärprozesshaftes Denken freier und extrem assoziativ ist, glaubt man, dass es das Auftreten kreativer Momente begünstigt, die neue Ideenkombinationen und -verschiebungen fördern – gewissermaßen Aha-Erlebnisse. Dagegen benötigt man die geballte Konzentration des sekundärprozesshaften Denkens für die Ausarbeitung der kreativen Eingebung.
    Dijksterhuis und Teun Meurs haben eine Reihe von Studien durchgeführt, um zu untersuchen, warum unbewusstes Denken – Gedanken ohne Aufmerksamkeit – in Kreativität münden kann. Beim Planen ihrer Experimente analysierten sie auch die verbreitete Vorstellung, dass das Unbewusste am effektivsten in der Phase der Reifung arbeitet, in der man auf bewusstes Denken verzichtet. Gehen wir, laut dieser Vorstellung, ein Problem falsch an, was häufig geschieht, so kommen wir nicht weiter, wenn wir ständig darüber nachgrübeln. Unterdrücken wir jedoch die Gedanken über das Problem und lenken uns ab, kommt es möglicherweise zu einem sogenannten Set-Shifting , einem Wandel unserer Einstellung. Wir wechseln von einem starren Blickwinkel, der versucht, alle Überlegungen in einem konvergenten Punkt zusammenzuführen, zu einer assoziativen, divergenten Perspektive, die mehrere Denkrichtungen zulässt. Diese Verlagerung trägt dazu bei, dass wir den falschen Ansatz vorübergehend aus unserem Denken verbannen, und bewirkt sogar zuweilen, dass wir ihn ganz vergessen.
    UM IHRE THEORIE DES SET-SHIFTING zu prüfen, verglichen Dijksterhuis und Meurs drei Gruppen von Personen. Diese sollten auf bestimmte Anweisungen hin Listen erstellen, wie »Orte, die mit dem Buchstaben A beginnen« oder »Dinge, die man mit einem Ziegelstein tun kann«. Die erste Gruppe sollte unmittelbar nach der Aufforderung eine Liste zusammenstellen, die zweite nach einigen Minuten bewussten Nachdenkens und die dritte, nachdem man sie einige Minuten lang mit einer anderen Aktivität abgelenkt hatte. Die Anzahl der Antworten, die die jeweiligen Gruppen fanden, war zwar gleich, doch die Listen der unbewusst Denkenden waren ausnahmslos abwechslungsreicher, ungewöhnlicher und kreativer. Zudem fanden, ähnlich wie bei den oben erwähnten Wohnungs-Experimenten, die Mitglieder der abgelenkten Gruppe im Vergleich zu den anderen Versuchsteilnehmern Lösungen, die ihnen später mehr zusagten. Demnach kann Ablenkung, die den Gedanken freien Lauf lässt, anscheinend nicht nur unbewusstes (Bottom-up-)Denken fördern, sondern auch, wie das Auftauchen einer neuartigen Lösung zeigt, das Gedächtnis zu einem neuen Top-down-Prozess aktivieren.
    AUF DEN ERSTEN BLICK SCHEINEN die von Libet, Dijksterhuis und Wegner gefundenen Ergebnisse der gemeinhin logisch erscheinenden Vorstellung zuwiderzulaufen, dass wir alle wichtigen Entscheidungen in unserem Leben bewusst treffen. Doch wie Susan Blackmore hervorgehoben hat, erledigt sich das Problem, sobald wir uns klarmachen,

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