Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
rhythmische Komposition verlieh, die sich von zeitgenössischen Versuchen, die Natur zu kopieren, abhoben.
Abb. 8-24.
Kaiserin Theodora mit ihrem Gefolge (um 547).
Apsismosaik.
Unter dem Einfluss der byzantinischen Mosaiken begann Klimt, die flächige Darstellung mit einem stark ornamentalen Malstil zu verbinden. Er verwendete eine quadratische Leinwand sowie Gold und metallische Farben, die er erstmals im Beethovenfries benutzt hatte und mit denen er aus der Goldschmiede seines Vaters vertraut war. Um die psychische Tiefgründigkeit seiner Porträts noch zu verstärken, verzierte Klimt die Bilder mit ikonischen sexuellen Symbolen. Bei Besuchen in Berta Zuckerkandls Salon hatte er von ihrem Mann Emil erfahren, wie Geschlechtszellen aussehen (siehe Kapitel 3). Wie die Kunsthistorikerin Emily Braun dokumentiert hat, kannte er außerdem Darwin und dessen Evolutionstheorie, und er besaß alle vier Bände von Illustrierte Naturgeschichte der Thiere (1882 bis 1884), in denen mikroskopische Aufnahmen von Spermien, Eizellen und Embryos zu sehen sind. Stilisierte Versionen dieser Abbildungen erscheinen in seinen Gemälden als dekorative Muster auf den Gewändern seiner Modelle. Mit diesen Ornamenten wies Klimt auf die Strukturen hin, auf denen alles menschliche Leben beruht.
Diese beiden stilistischen Neuerungen – Flächigkeit und Ornamentik – tauchten erstmals in Klimts goldener Phase auf, einer relativ kurzen Periode, die von seiner Rückkehr nach Wien im Jahre 1903 bis 1910 andauerte. In Der Kuss (1907–1908), seinem wohl bekanntesten Gemälde, erreicht die Verbindung von flächiger Darstellung und goldenen Ornamenten ihren Höhepunkt (Abb. 8-25). Die Körper der Liebenden sind fast vollständig von ihrer Kleidung verhüllt, und diese geht in den zweidimensionalen, dekorativen goldenen Hintergrund über. Durch seine außergewöhnliche Stilisierung drückt das Bild Sehnsucht aus – die beiden Körper sind so eng verbunden, dass sie auf den ersten Blick wie miteinander verschmolzen scheinen. Zudem sind die Gewänder der Liebenden wie auch der blumenübersäte Untergrund, auf dem die Frau kniet, mit sexuellen Bildsymbolen verziert. Die aufrecht stehenden, länglichen Rechtecke auf dem Umhang des Mannes, die Spermien symbolisieren, werden durch die eiförmigen und floralen Symbole für weibliche Fruchtbarkeit auf dem Kleid der Frau ergänzt. Die zwei klar definierten Bereiche geschlechtlicher Symbole stehen einander gegenüber und werden durch den leuchtend goldenen Stoff, der ihnen als gemeinsamer, flacher Hintergrund dient, in ihrer Gegensätzlichkeit vereinigt. Vor diesem Hintergrund, so hat es die Klimt-Expertin Alessandra Comini ausgedrückt, wird »der prospektive Höhepunkt ihres gegenseitigen Begehrens … durch die Vereinigung kreisförmiger und aufrechter ornamentaler Formen wunderbar vorweggenommen«. 90
Abb. 8-25.
Gustav Klimt, Der Kuss (1907–1908).
Öl auf Leinwand.
Obwohl Klimt während seiner ganzen langen Karriere Frauen malte, stammen seine berühmtesten Porträts, die allesamt idealisierte Frauen darstellen, aus dieser goldenen Phase (Abb. 8-26). Die Gemälde selbst sind der Welt entrückt. Im Gegensatz zu Klimts Zeichnungen erforschen die Gemälde nicht die Psyche seiner Modelle. Ihre Gesichter umgibt vielmehr ein besonderes Geheimnis, ein stereotypes Leuchten und eine emotionale Ambiguität.
Die von Ronald Lauder erworbene Darstellung Adele Bloch-Bauers aus dem Jahre 1907 (Abb. 1-1) ist vielleicht Klimts bekanntestes Porträt. Dort hat der Künstler ein annähernd realistisches, dreidimensionales Abbild seines Modells vor einem flachen, abstrakten Hintergrund aus Goldornamenten platziert. Die Arbeit an dem Gemälde hatte Klimt 1903 begonnen, also in dem Jahr, in dem er nach Ravenna ging, um sich die byzantinischen Mosaiken anzusehen, und das vollendete Porträt offenbart den Einfluss des Mosaiks von Kaiserin Theodora. Wie die Kaiserin ist auch Adele von geometrischen Formen umgeben – ja gleichsam eingeengt (vergleiche Abb. 8-24 und Abb. 1-1). Auch wenn man es nicht gleich erkennt, sitzt sie auf einer Art Thron, einem gepolsterten Lehnstuhl, der reich mit spiralförmigen Ornamenten verziert ist.
89 Greenberg, C., »Modernistische Malerei«, in: Die Essenz der Moderne: Ausgewählte Essays und Kritiken , hg. von K. Lüdeking, übers. von C. Hollender, Amsterdam/Dresden 1997, S. 265–268.
90 Comini, A., Gustav Klimt: Eros und Ethos , Salzburg1975, S. 27.
Abb. 8-26.
Gustav Klimt, Adele
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