Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Bloch-Bauer II (1912).
Öl auf Leinwand.
In dem Porträt zeigt sich ein wichtiges Element von Klimts neuem Stil – das bewusste Verwischen der Grenzen zwischen den verschiedenen Elementen des Gemäldes. Es fällt schwer, Adeles Gewand, den Stuhl und den Hintergrund voneinander zu unterscheiden. Im Grunde fließen die Grenzen ineinander über und erwecken so beim Wahrnehmen von Raum und Form den Eindruck einer pulsierenden Bewegung. Indem Klimt den Hintergrund flächig darstellt und mit Adeles Gewand verschmelzen lässt, tilgt er die vor allem für die Porträtmalerei bedeutsame traditionelle Trennung zwischen Figur und Grund, zwischen Figur und Oberflächendekoration. Der mittlere Teil ihres Gewandes, der direkt am Körper anliegt, ist mit rechteckigen und eiförmigen Geschlechtssymbolen bedeckt, die denen in anderen Gemälden, wie Der Kuss , ähneln. Ihre gefalteten Hände spiegeln die Hände der beiden Liebenden in Der Kuss wider. Die Art und Weise, wie Klimt mit Händen Gefühle symbolisiert, wird später von Kokoschka und insbesondere Schiele weiterentwickelt.
Die fließenden Grenzen in dem Gemälde und die dichte symbolische Ornamentik des Kleides vermitteln die Vorstellung, dass die strenge, geordnete Geometrie des Hintergrunds restriktiv und von der Gesellschaft erzwungen ist, wogegen die Symbole auf Adeles Kleid ihre instinktiven Triebe enthüllen. Die Klimt-Historiker Sophie Lillie und Georg Gaugusch kommentieren diesen Konflikt mit den Worten, Klimts Gemälde wirke wie der überzeugende visuelle Ausdruck von Freuds Theorie, die dieser einige Jahre später in Die Traumdeutung formulierte, dass im Unbewussten verborgene Gefühle in verhüllter Form an die Oberfläche steigen. 91
Ganz ähnlich wie Rembrandt, der sich bemühte, die Psyche seiner Modelle offenzulegen, indem er ihre Hände und ihr Gesicht isoliert in einer amorphen Umgebung abbildete, enthüllt Klimt nur Adele Bloch-Bauers Hände und Gesicht. Im Gegensatz zu dem spirituellen Bildnis der Kaiserin Theodora zeigt das Porträt Adele jedoch mit vollen Lippen, rosigen Wangen, halb geschlossenen Augen und einem eindeutig verführerischen, wehmütigen Lächeln. Der mit Rubinen und Saphiren besetzte Halsreif und das goldene Armband an ihrem linken Handgelenk lenken die Aufmerksamkeit auf Adeles Gesicht sowie auf ihren offensichtlichen Reichtum.
Dank Klimts Fähigkeit, seine Modelle mit nahezu fotografischer Genauigkeit zu porträtieren und sie in unnachahmlicher dekorativer Manier mit reich verbrämten goldenen Gewändern und Hintergründen zu umgeben, war er als Porträtmaler – fast immer von Frauen – bald sehr gefragt. Im Gegensatz zu Kokoschka und Schiele, die nie müde wurden, sich selbst zu malen, fertigte Klimt keine Selbstporträts an: »Von mir gibt es kein Selbstporträt. Ich interessiere mich nicht für die eigene Person als ›Gegenstand eines Bildes‹, eher für andere Menschen, vor allem weibliche.« 92
WÄHREND SEIN WERK DIE ENTWICKLUNG vom Jugendstil zur Moderne vollzog, konzentrierte sich Klimt auf zwei Themen, die ihn seit dem Tod seines Vaters und seines Bruders sowie seiner Verbindung mit Emilie am meisten beschäftigten und den Expressionismus prägen sollten – Sexualität und Tod. Somit begab sich Klimt gleichzeitig mit Freud und Schnitzler auf eine Forschungsreise in den Bereich der unbewussten Triebe, die das Verhalten der Menschen bestimmen. Er wurde zu einem Maler des Unbewussten und enthüllte das Innenleben von Frauen.
Klimt war sich offenkundig nicht nur der verführerischen, sondern auch der zerstörerischen Macht weiblicher Erotik bewusst. In mehreren Gemälden traten an die Stelle sittsamer, femininer Typen, die alle mehr oder weniger austauschbar waren und keinerlei tieferes psychologisches Interesse weckten, augenfällig sinnlichere Wesen, Frauen, die zur gleichen Bandbreite von Emotionen fähig waren wie Männer – zu Leid und Lust, Tod und Leben gleichermaßen. Wie Edvard Munch und andere vor ihm beschäftigte Klimt sich mehr und mehr mit der in seinen Augen gefährlichen, irrationalen Macht von Frauen und zeigte auf, dass Sexualität nicht nur angenehme Seiten hat. Im ersten dieser Gemälde, seinem 1901 erstellten Porträt der biblischen Judith (Abb. 8-27), zeigte Klimt, dass weibliche Macht für Männer ausgesprochen furchterregend sein kann.
Abb. 8-27.
Gustav Klimt, Judith (1901).
Öl auf Leinwand.
Das Buch Judith erzählt die Geschichte einer jüdischen Heldin, einer frommen jungen Witwe, deren Mut,
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