Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
offenbart sein Bemühen, unter die Oberfläche äußerer Erscheinungen vorzudringen und den Blick auf den Gefühlszustand des Modells zu lenken. In einem ersten Schritt auf der Reise ins Unbewusste erkannte Klimt, dass er die Beschränkungen, die dem Malen auf einer Leinwand eigen sind, überwinden musste. Freud konnte Metaphern verwenden, um zu erklären, inwiefern unbewusste Kräfte das menschliche Verhalten formen, und Schnitzler wählte den inneren Monolog, um die Wirkung dieser Kräfte auf seine Charaktere zu enthüllen. Um die Tiefe der menschlichen Psyche auf eine flache, zweidimensionale Oberfläche zu bannen, benötigte Klimt jedoch neue künstlerische Techniken, und auf der Suche danach ließ er sich von einem viel älteren Malstil inspirieren – der byzantinischen Kunst.
Wie Gombrich gezeigt hat, ist die Geschichte der abendländischen Kunst durch eine systematische Entwicklung zum Realismus gekennzeichnet, hin zur Darstellung einer glaubwürdigen, dreidimensionalen Welt auf einer flachen, zweidimensionalen Oberfläche. Klimt verzichtete auf die dreidimensionale Realität zugunsten einer modernen Version der zweidimensionalen Darstellung, die für die byzantinische Kunst typisch ist. In seinen Gemälden kombiniert er dreidimensionale figürliche Darstellungen mit großen Bereichen flacher, vergoldeter Ornamente, was eine faszinierend verstörende, zugleich abstoßende und magnetisch anziehende Wirkung hat und die leuchtende, sinnliche Aura der Werke noch verstärkt. Diese Betonung der Zweidimensionalität, die bereits in den Bildern von Édouard Manet und Paul Cézanne sichtbar war, wurde später von den Kubisten und anderen Künstlern im Laufe des 20. Jahrhunderts übernommen und erweitert.
Die Beschränkung auf lediglich zwei Dimensionen begründeten die Vertreter der Moderne damit, dass Kunst gar nicht erst versuchen sollte, die physikalische Wirklichkeit zu reproduzieren, weil sie es ohnehin nicht kann. Darüber hinaus gäbe es nicht nur eine einzige Wirklichkeit – Kunst sollte nach einer höheren, symbolhafteren Wahrheit streben oder sich einfach als Objekt präsentieren. In seinem wegweisenden Aufsatz über die Malerei der Moderne (1960) schrieb Clement Greenberg, Kunstkritiker und Experte für die Malerei des Abstrakten Expressionismus:
Das Wesen des Modernismus liegt … darin, die charakteristischen Methoden einer Disziplin anzuwenden, um diese Disziplin ihrerseits zu kritisieren. … Der Modernismus wollte mittels der Kunst auf die Kunst aufmerksam machen. Die einschränkenden Bedingungen, die das Medium der Malerei definieren – die plane Oberfläche, die Form des Bildträgers, die Eigenschaften der Pigmente –, wurden von den alten Meistern als negative Faktoren behandelt, die allenfalls indirekt eingestanden werden durften. Der Modernismus betrachtete dieselben Einschränkungen als positive Faktoren, die nun offen anerkannt wurden. … Weil die Flächigkeit die einzige Bedingung ist, welche die Malerei mit keiner anderen Kunst teilt, strebte die modernistische Malerei [der 1940er- und 1950er-Jahre] vor allem zur Flächigkeit. 89
Klimt betrachtete die Flächigkeit nunmehr als Wahrheit. Bereits 1898 hatte er bei Pallas Athene begonnen, mit flächiger Darstellung und Goldornamenten zu experimentieren, doch 1903 vollzog er einen weiteren wichtigen Schritt. Er reiste nach Ravenna in Italien, um byzantinische Mosaiken zu studieren. Diese frühen Beispiele christlicher Kunst sind gekennzeichnet durch ihre Flachheit, welche die stoffliche Natur der Wandmosaiken unterstreicht, und einen goldenen Hintergrund, der die Spiritualität betont, die höhere Wirklichkeit, die auch Klimt abbilden wollte. Vom sechsten bis achten Jahrhundert war Ravenna die Hauptstadt der weitläufigen italienischen Region des Byzantinischen Reiches und eines der bedeutenden kulturellen und künstlerischen Zentren des mittelalterlichen Europa. Die Mosaiken der Stadt hatten monumentale Ausmaße und waren reich mit Gold, farbenprächtigem Glas und Edelsteinen verziert.
Eines dieser Mosaiken, das sich in der Kirche von San Vitale befand, zog Klimt besonders in seinen Bann – das der Kaiserin Theodora (um 547), der Gattin des Kaisers Justinian. Die Kaiserin, die eine wunderschöne Frau gewesen sein soll, trägt eine Purpurrobe und eine schimmernde Krone, besetzt mit Saphiren, Smaragden und anderen Edelsteinen (Abb. 8-24). Klimt erkannte, dass die Zweidimensionalität ihrem Bildnis eine abstrakte Zeitlosigkeit und eine
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