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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Flecken unabhängig vom Blickwinkel auf die Identität. Da man den Affen darüber hinaus Bilder von menschlichen Gesichtern präsentierte, die sie nie zuvor gesehen hatten, und die Bilder zufällig ausgewählt wurden, sprechen die Ergebnisse nachdrücklich dafür, dass die hohe Rate des Wiedererkennens bei den vordersten Gesichts-Flecken, unabhängig vom Blickwinkel, nicht auf Lernprozessen beruht (allerdings kann Lernen die Erfolge beim Erkennen durchaus noch verbessern). So kamen Freiwald und Tsao zu dem Schluss, dass das Gehirn möglicherweise ein Gesichtserkennungssystem birgt, das darauf ausgelegt ist, ein Gesicht aus jedem Winkel als Gesicht zu identifizieren, ohne dass dies gelernt werden muss.
    Da Menschen in ihrem täglichen Leben mit zahlreichen Gesichtern konfrontiert werden, erhebt sich die spannende Frage: Reagieren einzelne Zellen im menschlichen Gehirn tatsächlich auf das Gesicht einer bestimmten Person? Diese Frage konnten Wissenschaftler beantworten, die die Aktivität von Nervenzellen im mittleren temporalen Cortex aufgezeichnet haben, einer Hirnregion, die an der Speicherung von Erinnerungen im Langzeitgedächtnis beteiligt ist. Bei neuronalen Aufzeichnungen an Patienten, die man für eine Operation vorbereitete, entdeckten Christof Koch und seine Mitarbeiter am California Institute of Technology eine Teilmenge von Nervenzellen, die auf Bilder von Menschen reagieren. Tatsächlich könnte eine bestimmte Zelle auf eine Reihe prominenter Personen reagieren – beispielsweise auf Bill Clinton, den früheren Präsidenten der USA . Auf diese Ergebnisse aufbauend, entdeckten Itzhak Fried und seine Mitarbeiter von der University of California, Los Angeles, dass Neuronen im mittleren temporalen Cortex viel eher auf Bilder von Gesichtern reagieren, die eine persönliche Bedeutung für den Patienten haben, als auf Bilder von Personen, zu denen er keinen Kontakt hat. Diese Resultate ließen Fried und seine Mitarbeiter vermuten, dass Gesichter, die eine größere Relevanz und Bedeutung für den Betrachter haben, von anteilmäßig mehr Neuronen im mittleren temporalen Cortex codiert werden als weniger relevante Gesichter.
    Die Hypothese, dass es spezielle Systeme für die Gesichtserkennung, getrennt von der Erkennung anderer Objekte, gibt, unterstützen nicht nur die bildgebenden Untersuchungen von Puce und Kanwisher sowie die zellphysiologischen Untersuchungen von Livingstone, Tsao, Freiwald, Koch und Fried, sondern auch, wie wir gesehen haben, klinische Studien von Patienten mit Schädigungen verschiedener Bereiche der »Was«-Bahn. Bei einem dieser Patienten, C. K., ist die Objekterkennung schwer gestört, während die Gesichtserkennung funktioniert. So erkannte C. K. in Bildern von Arcimboldo zwar das Gesicht, aber nicht die Obst- und Gemüsesorten (Abb. 17-3). Dagegen fällt es Patienten mit Prosopagnosie, die ein Gesicht zwar entdecken, aber nicht identifizieren können, tatsächlich leichter als gesunden Personen, auf dem Kopf stehende Gesichter, einschließlich Arcimboldos, als Gesicht zu erkennen.
    DIE GESTALTPSYCHOLOGEN BEHAUPTETEN, dass wir einzelne Teile eines Gesichts nicht verarbeiten können, ohne vom gesamten Gesicht beeinflusst zu werden. Freiwald, Tsao und Livingstone fanden starke biologische Argumente für dieses Prinzip. Als sie den mittleren Gesichts-Fleck untersuchten, zeigten sie Affen Bilder von richtigen Affengesichtern und dann stilisierte Zeichnungen von Affengesichtern aus den sieben Grundbestandteilen Gesichtskontur, Haare, Augen, Iris, Augenbrauen, Mund und Nase. Die stilisierten Bilder waren Strichzeichnungen, denen viele Merkmale wirklicher Gesichter fehlten – wie Pigmentierung, Oberflächenstruktur, Dreidimensionalität –, doch bei den Affen lösten die Zeichnungen genauso zuverlässig die Erregung von Zellen im mittleren Gesichts-Fleck aus wie Bilder eines echten Affen.
    Dieses Resultat veranlasste Freiwald und Tsao, die Eigenschaften der stilisierten Gesichter weiter zu bearbeiten. Sie vereinfachten die Zeichnungen, ließen Teile des Gesichts weg oder verfremdeten sie, indem sie die Augen weiter voneinander wegrückten oder die Nase vom Mund. Bei der Analyse der Reaktionen auf diese Zeichnungen entdeckten sie, in Übereinstimmung mit der Gestaltpsychologie, dass viele Zellen auf einzelne Merkmale oder Merkmalskombinationen erst dann reagieren, wenn sie sich innerhalb eines Ovals befinden. So zeigen Zellen in den Gesichts-Flecken des Affen, die auf Augenbrauen oder Augen

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