Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Art sind die visuellen Informationen, die diese sechs Gesichts-Flecken jeweils verarbeiten? Um die Frage zu beantworten, beschränkten sie sich auf die beiden mittleren Flecken und fanden heraus, dass die dort befindlichen Neuronen zum Entdecken und Unterscheiden von Gesichtern eine Strategie anwenden, die elementbezogene mit ganzheitlichen Gestaltprinzipien kombiniert. Sie zeigten Affen Zeichnungen und Bilder von Gesichtern mit unterschiedlicher Form und Ausrichtung und stellten fest, dass die mittleren Gesichts-Flecken auf die Geometrie von Gesichtsmerkmalen ansprechen – sie entdecken die Gestalt des Gesichts. Außerdem reagieren Zellen in diesen beiden Regionen auf die Ausrichtung des Kopfes und des Gesichts – sie sind auf vollständige, aufrecht stehende Gesichter spezialisiert.
Die Erkenntnis, dass die mittleren Gesichts-Flecken selektiv auf die Ausrichtung des Gesichts reagieren, passt zu zwei wichtigen Ergebnissen, die die computergesteuerte Gesichtserkennung erbracht hat. Ähnlich wie klassische Psychologen zwischen Empfindung , dem Sammeln sensorischer Informationen, und Wahrnehmung , der Anwendung von Wissen zur Interpretation dieser sensorischen Informationen, unterschieden haben, trennt ein computergesteuertes Sehprogramm das anfängliche Entdecken eines Gesichts als Gesicht vom späteren Erkennen dieses Gesichts, bei dem es einer bestimmten Person zugeordnet wird. Somit dient das Entdecken bei den Gesichts-Flecken wie auch beim Computerprogramm als Filter, der ungeeignete Objekte ausschließt und den Erkennungsprozess effektiver macht. Die empirische Feststellung, dass das Gehirn am besten aufrecht stehende Gesichter erkennt, wird durch das wissenschaftliche Ergebnis gestützt, dass Zellen in den Gesichts-Flecken des Temporallappens schwächer und unspezifischer reagieren, wenn ein Gesicht auf dem Kopf stehend präsentiert wird.
Danach wollten Freiwald und Tsao wissen, wie die Gesichtsrepräsentation im Verlauf der Bearbeitung durch die Gesichts-Flecken voranschreitet. Insbesondere wollten sie verstehen, wie die verschiedenen Flecken Informationen über die Gesichtsidentität gewinnen, wenn man berücksichtigt, dass wir ein Gesicht nicht nur aus einer einzigen Perspektive, sondern aus vielen verschiedenen Blickwinkeln erkennen können – von vorne, von hinten, im Profil von links oder von rechts, von oben oder unten. Zur Beantwortung dieser Fragen zeigten sie Affen Bilder von 200 verschiedenen Menschengesichtern, die die Affen vergleichen konnten, und präsentierten jedes Gesicht aus verschiedenen Blickwinkeln. Um die Reaktionen der Tiere zu untersuchen, kombinierten sie erneut fMRT mit elektrischen Aufzeichnungen von der Aktivität einzelner Zellen in den Gesichts-Flecken.
Sie konzentrierten sich auf vier Flecken, die zwei mittleren und zwei vordere, und entdeckten, dass Neuronen in den mittleren Gesichts-Flecken unterschiedlich auf verschiedene Gesichter reagierten, doch nur, wenn das Tier die Gesichter aus einem bestimmten Winkel sah. Das heißt, auch wenn ein Neuron stärker auf Tim als auf Tina reagiert, wenn deren Gesichter von vorne gezeigt werden, reagiert es möglicherweise stärker auf Tina als auf Tim, wenn man die Gesichter im Profil präsentiert. Besonders faszinierend war, dass die Zellen in einem der vorderen Gesichts-Flecken wählerisch waren, was den Blickwinkel betraf; so kam es vor, dass sie nur auf Profile – von links oder von rechts – reagierten, aber auf keine Blickwinkel dazwischen. Laut Freiwald und Tsao legt die Entdeckung eines ganzen Gesichts-Flecks mit solchen Neuronen die Vermutung nahe, dass spiegelsymmetrische Ansichten für die Objekterkennung allgemein bedeutend sein könnten. Dagegen reagierten die Neuronen in dem anderen vorderen Gesichts-Fleck unabhängig vom Blickwinkel empfindlich auf die Identität der gezeigten Person. So bevorzugten Neuronen, die bei der Frontansicht Tim gegenüber Tina den Vorzug gaben, Tim auch dann, wenn er im Profil gezeigt wurde.
Diese Resultate verdeutlichen, dass visuelle Informationen über den Blickwinkel und die Gesichtsidentität fortlaufend in aufeinanderfolgenden Gesichts-Flecken verarbeitet werden, bis sie ein Wahrnehmungsobjekt mit einer Identität hervorbringen, die auch bei wechselndem Blickwinkel konstant bleibt. In dem ersten, hintersten Flecken, den Freiwald und Tsao untersuchten, sind die Zellen nicht in der Lage, verschiedene Ansichten eines Individuums miteinander zu verknüpfen. Dagegen reagieren die späteren
Weitere Kostenlose Bücher