Das Zeitalter der Fuenf 01 Priester
zuflogen, der etwas niedriger war als die anderen. Sie hatte in den Gedanken der Frau flüchtige Bilder von ihrem Bestimmungsort gesehen und daraus entnommen, dass sie auf diesem Gipfel einen Tempel vorfinden würden.
Auraya war fasziniert gewesen, als sie erfuhr, dass die Siyee einen eigenen Tempel besaßen. Obwohl sie Huan huldigten, waren sie doch keine wahren Zirkler. Sie folgten den Ritualen und Traditionen nicht, die die Landgeher ersonnen hatten, um ihrer Huldigung der fünf Götter Ausdruck zu verleihen. Genau genommen kannten die Siyee diese Traditionen nicht einmal.
Sie hatte den Tempel besuchen wollen, aber das Gesetz der Siyee untersagte es jedem, sich zu nähern, es sei denn, die Göttin hätte ihn eingeladen oder er käme in Begleitung eines Wächters; die Siyee hatten keine Priester oder Priesterinnen, doch die Wächter kamen dieser Funktion am nächsten. An diesem Morgen hatte Sirri eine solche Einladung ausgesprochen. Seither verspürte Auraya ein aufgeregtes Prickeln in ihrem Magen. Bedeutete das, dass sie endlich zu ihr sprechen würden?
Wenn sie hier sind, warum sprechen sie nicht einfach zu mir? Warum diese Einladung, die sie durch andere übermitteln lassen?, fragte sich Auraya nicht zum ersten Mal. Vielleicht wollen sie, dass die Siyee es erfahren. Hätten die Götter einfach in meine Gedanken hineingesprochen, hätten die Siyee nichts davon bemerkt, oder aber sie hätten darauf vertrauen müssen, dass ich die Wahrheit sage. Und wenn die Götter in Anwesenheit der Siyee erschienen wären, würde das dem Tempel ein wenig von seiner Heiligkeit nehmen, da dies der einzige Ort ist, an dem sie mit Huan in Verbindung treten können.
Je näher sie dem Gipfel kamen, desto deutlicher konnte Auraya Einzelheiten erkennen. Die höchste Stelle war seltsam geformt - zylindrisch mit rundem Abschluss. Plötzlich ergab das, was sie in Sirris Geist gesehen hatte, einen Sinn. Aus dem steinernen Gipfel war ein kleiner Pavillontempel herausgehauen worden.
Sie fragte sich, wie er erbaut worden war. Unter dem runden Sockel befand sich zu allen Seiten ein fast lotrechter Abgrund. Wenn man allerdings eine Höhle in den Fels gehauen hatte, hätte man danach den Rest von innen wegschlagen können. Niemand außer den Siyee konnte jedoch einen derart hochgelegenen, unzugänglichen Ort erreicht haben. Sie hatte nicht gewusst, dass die Steinmetze der Siyee so begabt waren. Als sie näher kam, konnte sie sehen, dass es sich um ein schlichtes, schmuckloses Gebäude handelte. Fünf Säulen trugen ein Kuppeldach. Die Proportionen waren makellos, und die Oberfläche war blank poliert.
Sirri schlug mit den Flügeln, um ein wenig an Höhe zu gewinnen, dann legte sie sie schräg, so dass sie geschickt zwischen zwei Säulen landete. Auraya gab den Versuch auf, so zu tun, als sei sie ebenfalls den Kräften des Windes und dem Sog der Erde unterworfen. Sie richtete sich auf und hielt mitten in der Luft inne, bevor sie sich vorwärtsbewegte, bis ihre Füße den Boden des Tempels berührten.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Tempel sich von seinen Maßen eher an der Größe der Landgeher orientierte als an der Größe der Siyee. Sie konnte aufrecht stehen, ohne den Kopf einziehen zu müssen.
»Das ist der Tempel«, sagte Sirri leise. »Er ist schon immer hier gewesen. In unseren Unterlagen heißt es, er habe hier gestanden, lange bevor die Siyee geschaffen wurden.«
»Die Siyee haben den Tempel nicht erbaut?«
Sirri schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Wer dann?«
»Das weiß niemand. Vielleicht Huan.«
Auraya nickte, obwohl sie nach wie vor vor einem Rätsel stand. Die Götter konnten auf diese Welt nur durch Menschen einwirken, was bedeutete, dass zumindest ein Mensch an der Erbauung des Tempels beteiligt gewesen sein musste. Vielleicht hatte Huan einem Steinmetz die Fähigkeit des Fliegens geschenkt, um diesen Ort erschaffen zu lassen.
»Dies ist ein heiliger Ort. Selbst die Mitglieder des Tempelbergstamms, die über den Tempel wachen, kommen nur selten hierher.« Sirri schenkte Auraya ein schnelles Lächeln. »Wir wollen Huan nicht unnötig von ihrer Arbeit ablenken.«
Auraya strich mit der Hand über eine Säule. Nichts in ihrer Beschaffenheit ließ auf hohes Alter schließen. »Es ist erstaunlich.«
»Ich habe eine Frage, bevor ich aufbreche«, sagte Sirri. »Die Sprecher möchten wissen, wann du nach Borra abreisen willst?«
»Wann ich abreisen will ? Niemals.« Auraya seufzte. »Aber ich muss es tun - und zwar bald.
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