Das Zeitalter der Fuenf 01 Priester
ihren Traum nach und darüber, warum sie sich jetzt so sicher war, dass dem Dorf furchtbares Unheil drohte. Ein Absatz auf der Schriftrolle hatte gelautet:
»Leven-ark« bedeutet auf Dunwegisch »Ehrenverzichter«. Das Wort beschreibt einen Krieger, der alle Ehre und alle Verpflichtungen beiseitegeschoben hat, um für eine ideelle oder moralische Sache zu kämpfen.
Zuvor hatte es für Auraya keinen Sinn ergeben, dass ein dunwegischer Krieger seinen Clan entehren sollte, indem er unbewaffnete Dorfbewohner als Geiseln nahm oder wehrlose Menschen tötete. Jetzt verstand sie. Ehre bedeutete diesen Dunwegern nichts mehr. Sie konnten alles tun, auch die Dorfbewohner niedermetzeln.
Die Weißen besaßen machtvolle Gaben und könnten die Dunweger in einem Kampf mühelos besiegen, aber während dieses Kampfes würden die Dunweger die Dorfbewohner vielleicht töten, bevor die Weißen sie überwältigen konnten. Wenn die Weißen den Forderungen der Dunweger jedoch nachgaben, würden andere sie vielleicht nachahmen. Viele weitere Hanianer könnten gefangen genommen und bedroht werden.
Die Weißen werden nicht nachgeben, dachte sie. Eher würden sie uns alle töten lassen, als andere dazu ermutigen, ein Dorf als Geisel zu nehmen. Auraya schüttelte den Kopf. Warum hat Leiard mir diesen Traum geschickt? Gewiss würde er mich nicht mit der Wahrheit quälen, wenn es nichts gäbe, was ich dagegen tun könnte.
Noch einmal dachte sie über die Informationen in der Schriftrolle nach. »Leven-ark.« » ... alle Ehre und alle Verpflichtungen beiseitegeschoben hat.« Wie können wir das zu unserem Vorteil nutzen?
Den Rest der Nacht lag sie wach und grübelte. Erst als das Morgenlicht in den Raum drang, fand sie die Antwort.
Nach mehreren Tagen waren die Gemüter gereizt, und in der abgestandenen Luft lagen unangenehme Gerüche. Wenn Priester Avorim nicht damit beschäftigt war, Streitigkeiten unter den Dorfbewohnern zu schlichten, sprach er ihnen Mut zu. Er hielt jeden Tag mehrere Predigten. Heute hatte er von den dunklen Zeiten vor dem Krieg der Götter gesprochen, als Chaos die Welt regierte.
»Priester Avorim?«, fragte ein Junge, als die Geschichte endete.
»Ja?«
»Warum töten die Götter die Dunweger nicht?«
Avorim lächelte. »Die Götter sind Geschöpfe aus purer Magie. Um Einfluss auf die Welt zu nehmen, müssen sie durch Menschen wirken. Deshalb haben wir die Weißen. Sie sind die Hände, die Augen und die Stimmen der Götter.«
»Warum geben sie dir nicht die Macht, die Dunweger zu töten?«
»Weil es bessere Wege gibt, Probleme zu lösen, als zu töten. Die Dunweger...« Die Stimme des Priesters verklang. Sein Blick war auf einen fernen Punkt gerichtet, dann lächelte er. »Mairae von den Weißen ist soeben angekommen«, verkündete er.
Aurayas Magen flatterte. Eine der Weißen ist hier, in Oralyn! Als die Tür des Tempels geöffnet wurde, zerstob ihre Erregung. Bal trat herein, begleitet von mehreren Kriegern und seinem Zauberer, Sen.
»Priester Avorim. Qurin. Kommt.«
Avorim und Qurin eilten hinaus. Sen blieb zurück. Die strahlenförmig angeordneten Linien auf seinem Gesicht waren zu einem finsteren Ausdruck verzogen. Er deutete auf den Vater des Schmieds, Ralam.
»Du da. Komm.«
Der alte Mann erhob sich und taumelte auf den Zauberer zu, behindert durch ein Bein, das vor Jahren gebrochen und anschließend ungeschickt gerichtet worden war.
Das Opfer, dachte Auraya. Ihr Herz begann zu rasen, als sie langsam vortrat. Ihr Plan stützte sich darauf, dass es den Dunwegern trotz ihrer Absichten widerstreben würde, gegen ihre Sitten zu verstoßen. Sie stellte sich vor Ralam.
»Gemäß den Edikten von Lore«, sagte sie an Sen gerichtet, »fordere ich das Recht, den Platz dieses Mannes einnehmen zu dürfen.«
Der Zauberer blinzelte überrascht. Er blickte zu den Kriegern hinüber, die die Tür bewachten, sprach einige Worte auf Dunwegisch und deutete mit einer abschätzigen Geste auf Auraya.
»Ich weiß, dass du mich verstanden hast«, erklärte sie und trat weiter vor, bis sie nur noch einen Schritt von dem Zauberer entfernt stand. »Geradeso, wie deine Kriegerbrüder mich verstanden haben. Ich fordere das Recht, den Platz dieses Mannes einnehmen zu dürfen.«
Ihr Herz hämmerte. Stimmen wurden laut, riefen nach ihr, befahlen ihr, zurückzukommen. Der alte Mann zupfte an ihrem Ärmel.
»Es ist schon gut, Mädchen. Ich werde gehen.«
»Nein«, sagte sie. Sie zwang sich dazu, Sens Blick
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