Das Zeitalter der Fuenf 01 Priester
das zutiefst gekränkt, daher habe ich ihn bis zu seinem Tod bei mir behalten. Aber jetzt vermisse ich ihn manchmal.«
Als sie den Kummer in Mairaes Augen sah, durchzuckte Auraya ein Stich des Mitgefühls - und etwas, das an Angst grenzte.
»Hast du dich daran gewöhnt, Menschen alt werden und sterben zu sehen?«, fragte sie mit leiser Stimme.
Mairae hielt Aurayas Blick stand, und ihre Miene war ungewöhnlich ernst. »Nein, aber ich habe gelernt, auf welche Weise ich am besten trauern kann. Ich gestatte mir ein gewisses Maß an Zeit, unglücklich zu sein, dann muss das Leben weitergehen. Und ich erlaube mir nicht, im Vorhinein allzu viel darüber zu grübeln. So wie ich es sehe, darf man sich keine übertriebenen Sorgen um die Zukunft machen, wenn diese Zukunft endlos ist.«
»Du hast wahrscheinlich recht. Aber manchmal kann ich nicht umhin, mich zu sorgen. Wahrscheinlich gehört das zu den vielen Dingen, die ich noch werde lernen müssen.«
Mairae zog die Augenbrauen hoch. »Worüber machst du dir denn solche Sorgen?«
Auraya zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Oh, es sind nur... kleine Dinge. Nichts Wichtiges.«
»Du bist nach wie vor ein Mensch, Auraya. Nur weil du dich um große Dinge kümmern musst, bedeutet das nicht, dass die kleinen nicht wichtig wären. Seit ich für diese Reise Dyaras Platz als deine Lehrerin übernommen habe, ist es meine Aufgabe, all deine Fragen zu beantworten, seien sie nun bedeutend oder weniger bedeutend.«
»Ich bespreche keine unbedeutenden Angelegenheiten mit Dyara.«
Mairae grinste. »Das tue ich auch nicht. Umso mehr Grund, mit mir zu reden. Also?«
»Ich mache mir Sorgen, dass ich einsam sein werde«, gestand Auraya.
Mairae nickte. »Davor hat jeder Mensch Angst, sei er nun sterblich oder nicht. Du wirst neue Freunde finden, die an die Stelle der alten treten.« Sie lächelte. »Und auch neue Geliebte.«
Wie Haime, den genrianischen Prinzen? Auraya dachte an den Morgen zurück, an den jungen Mann, der in dem Käfig den Turm hinuntergefahren war. Sie hatte genug von seinen Gedanken aufgefangen, um zu wissen, dass er soeben aus Mairaes Quartier gekommen war - und sie hatte auf diese Weise auch erfahren, was er während des größten Teils der vergangenen Nacht getan hatte. Dieser kleine Zwischenfall hatte ihr lediglich bestätigt, dass die Gerüchte, die sich um Mairae und ihre Geliebten rankten, der Wahrheit entsprachen.
Mairae kicherte. »Nach deinem Gesichtsausdruck zu schließen, hast du von meinen Geliebten wohl bereits gehört.«
»Nur gerüchteweise«, sagte Auraya ausweichend.
»Es ist unmöglich, Geheimnisse vor den anderen Weißen zu haben, und noch schwieriger ist es, irgendetwas vor den Dienern geheim zu halten.« Sie lächelte. »Es ist lächerlich, von uns zu erwarten, dass wir bis in alle Ewigkeit keusch leben.« Mairae zwinkerte. »Die Götter haben nicht gesagt, dass wir das tun müssen.«
»Haben die Götter jemals direkt zu dir gesprochen?«, fragte Auraya, die sich die Gelegenheit, das Thema zu wechseln, nicht entgehen lassen wollte. Wenn Mairae erst begann, über ihre ehemaligen Geliebten zu sprechen, würde sie von Auraya gewiss die gleiche Offenheit erwarten - und sie war davon überzeugt, dass ihre eigenen Erfahrungen an die von Mairae nicht heranreichen konnten. »Zu mir haben sie noch nichts gesagt.«
Mairae nickte. »Manchmal.« Sie hielt inne, und ein geistesabwesender, verzückter Ausdruck trat in ihre Züge. »Yranna teilt meinen Geschmack, was Männer betrifft. Sie ist wie eine große Schwester.« Sie drehte sich zu Auraya um. »Du hast gewiss schon von Anyala gehört, Jurans großer Liebe. Alle sprechen davon, wie wunderbar treu Juran war. Das Problem ist, dass er seither keine andere Frau mehr hatte, und Anyala ist nun seit fast zwanzig Jahren tot. Dadurch sieht es jetzt so aus, als erwarte er von uns Übrigen ebenfalls, keusch zu bleiben. Du bist in diesem Punkt doch nicht seiner Meinung, oder?« Mairae sah Auraya erwartungsvoll an.
»Nein. Ich... ich hatte schon gehört, dass Juran einmal eine Ehefrau hatte«, sagte Auraya. Ihr Versuch, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, zeigte keinen großen Erfolg.
»Die beiden waren nie verheiratet«, korrigierte Mairae sie. »In diesem Punkt haben sich die Götter sehr klar ausgedrückt. Keine Ehe und keine Kinder. Juran hat seit Anyalas Tod keine andere Frau auch nur angesehen. Das ist nicht gesund. Und Dyara...« Sie verdrehte die Augen. »Dyara ist noch schlimmer. Eine
Weitere Kostenlose Bücher