Das Zeitalter der Fuenf 01 Priester
er einfach einem anderen Gott huldigte. Dann würde ich zumindest wissen, dass er irgendwo weiterexistiert.
Sie schüttelte den Kopf. Warum sollte irgendjemand die Götter und die Chance auf Ewigkeit, die sie den Menschen boten, verschmähen? Sie drehte sich zu ihm um, und er zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
»Was beschäftigt dich?«
»Warum bist du Traumweber geworden, Leiard?«
Er zuckte die Achseln. »Ich kann mich nicht genau daran erinnern«, antwortete er. »Es muss damals wohl die richtige Entscheidung gewesen sein.«
»Was hat deine Familie von deinem Schritt gehalten - kannst du dich daran erinnern?«
Er runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. »Meine Eltern sind tot.«
»Oh, das tut mir leid.«
Leiard machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie sind vor langer Zeit gestorben, als ich noch jung war. Ich erinnere mich kaum noch an sie.«
Auraya lachte. »Als du jung warst? Leiard, so alt kannst du nun auch wieder nicht sein. Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der bei jeder meiner Begegnungen mit ihm jünger zu sein scheint als beim letzten Mal.«
»Das liegt daran, dass du erwachsen geworden bist.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie alt bist du?«
Er stutzte kurz. »Ungefähr vierzig, denke ich.«
»Denkst du? Wie ist es möglich, dass jemand nicht genau weiß, wie alt er ist?«
Die Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich. »Arleej glaubt, mein Gedächtnisverlust sei darauf zurückzuführen, dass ich mich über viele Jahre hinweg nicht mehr mit anderen Traumwebern vernetzt habe.«
Da sie seinen Kummer spüren konnte, wechselte sie das Thema. Es war offenkundig, dass der Verlust gewisser Erinnerungen ihm schwer zu schaffen machte.
»Wie viele Jahre sind denn vergangen, seit du das letzte Mal an einer Vernetzung teilgenommen hast?«
»Das letzte Mal war noch vor der Zeit, als ich in dem Wald in der Nähe deines Dorfes lebte.«
Sie trommelte mit den Fingern auf ihren Arm. »Wie lange warst du schon in dem Dorf, bevor meine Familie dort ankam?«
»Einige Jahre.«
»Dann liegt deine letzte Vernetzung fast zwanzig Jahre zurück. Wie alt sind Traumweber, wenn sie ihre Ausbildung beenden?«
Er warf ihr einen eigenartigen Blick zu. »Zwanzig, wenn sie jung anfangen.«
Sie nickte. Also hatte er recht: Er war etwa vierzig Jahre alt. Irgendwie enttäuschte sie das. Vielleicht gab es einen einfachen Grund für dieses Gefühl: Je älter er war, umso geringer war die Zeit, die ihr mit ihm noch verbleiben würde. Er würde älter werden, während sie sich ihre Jugend bewahrte. Beklommen dachte sie darüber nach, dass die Zeit ihm davonlief. Noch einige Jahrzehnte, und seine Seele würde für immer erlöschen.
»Haben die Traumweber jemals den Göttern gedient?«, fragte sie schließlich.
»Nein.«
»Glaubst du, dass sie es in Zukunft jemals tun werden?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil wir es nicht wollen.«
Sie sah ihn von der Seite an. »Weil die Götter Mirar haben töten lassen?«
»Das ist ein Teil unserer Gründe.«
»Und der andere Teil?«
»Weil Macht niemandem das Recht gibt, anderen zu sagen, wie sie denken oder leben oder wen sie töten sollen.«
»Nicht einmal dann, wenn der Betreffende älter und klüger wäre als du? Wie zum Beispiel ein Gott?«
»Nein.« Er wandte den Blick ab. »Die Menschen sollten frei wählen können, ob sie den Göttern huldigen wollen oder nicht.«
»Sie können wählen.«
»Ohne Strafe oder Vergeltung fürchten zu müssen?«
»Dann erwartest du also von den Göttern, dass sie deine Seele in ihre Obhut nehmen, ganz gleich, ob du ihnen huldigst oder nicht?«, fragte sie zurück.
»Nein. Ich erwarte, dass meine Leute frei von Verfolgung leben können.«
»Diese Dinge gehören der Vergangenheit an.«
»Ach ja? Warum haben Traumweber dann noch immer Angst, durch die Straßen von Jarime zu gehen? Warum ist es ihnen verboten, ihre Fähigkeiten zum Wohle anderer einzusetzen?«
Auraya seufzte. »Wegen der Ereignisse vor hundert Jahren. Und damit meine ich nicht Mirars Tod.«
Darauf erwiderte er nichts. Sie war gleichzeitig erleichtert und enttäuscht. Obwohl sie nicht mit ihm streiten wollte, hätte sie gern seine Meinung über die Geschehnisse in der Vergangenheit gehört, die zu der gegenwärtigen Situation der Traumweber geführt hatten.
Nach den Dokumenten, die sie gelesen hatte, war Mirar in seiner Arbeit bewunderungswürdig und in seinen Neigungen ausschweifend gewesen. Er hatte seine Anhänger alles
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