Das Zeitalter der Fuenf 02 Magier
umringten sie. Es war nur allzu leicht, sich vorzustellen, dass sie alle wie die Plünderer waren und wie der Mann, der sie gefangen hatte, habgierig und grausam.
Der nette Landgeher war anders, rief sie sich ins Gedächtnis. Es muss mehr von seiner Art geben. Vielleicht sogar in diesem Raum. Was würde geschehen, wenn sie um Hilfe schrie? Was, wenn es ihr gelang, aus dem Sack und dem Wagen zu entkommen?
Sie trat um sich und spürte, wie ihre Beine gegen etwas stießen. Dieses Etwas prallte zurück, dann schlug es ihr mit voller Wucht gegen die Wade. Sie keuchte vor Schmerz. Eine Stimme murmelte einige ärgerliche Worte.
Wenn sie schrie, würde er ihr abermals wehtun, aber es würde sich vielleicht lohnen. Sie nahm all ihre Kraft zusammen, um es noch einmal zu versuchen, hielt dann jedoch inne, als der Boden unter ihr aufhörte, sich zu bewegen.
Ganz in ihrer Nähe erklang eine weitere Stimme. Diese Stimme und der habgierige Mann unterhielten sich wohlgelaunt. Dann wurde sie gepackt und hochgehoben. Sie erkannte den Geruch des Meeres im gleichen Augenblick, als sie das vertraute Knarren und Platschen eines Schiffes hörte.
Die beiden Männer trugen sie zuerst hinauf, dann hinunter und setzten sie schließlich auf einen harten Boden. Sie blieb still liegen und war sich des vertrauten Schaukelns nur allzu bewusst. Leichte Übelkeit stieg in ihr auf. Über ihr schrien Menschen. Menschen auf Schiffen schrien immer. Sie hörte Schritte näher kommen. Der Sack bewegte sich, dann wurde er ihr über den Kopf gezogen. Sie kämpfte sich frei, voller Verlangen nach frischer Luft.
Als sie aufblickte, erstarrte sie vor Überraschung.
Statt des habgierigen Mannes standen zwei Frauen vor ihr. Beide trugen aus vielen Schichten zusammengesetzte schwarze Roben und silberne Anhänger. Sie lächelten sie an.
»Hallo, Imi«, sagte die ältere Frau. »Du bist jetzt in Sicherheit, Imi.«
Imi starrte sie erstaunt an. Sie hat meinen Namen gesagt? Woher kennt sie meinen Namen? Und wie ist es möglich, dass sie die Sprache der Elai beherrscht?
Die Frau beugte sich vor und streckte die Hand aus. »Niemand wird dir jetzt noch etwas tun. Komm mit uns, und wir werden dir helfen.«
Tränen schossen Imi in die Augen. Endlich waren ihre Retter gekommen. Sie sahen ganz anders aus, als sie sie sich vorgestellt hatte. Weder ihr Vater war gekommen noch ein wunderbarer Krieger - nicht einmal der nette Landgeher. Nur zwei Frauen.
Aber sie würden genügen.
26
D er Himmel schillerte in allen Farben. Am Horizont war er hellgelb, und ein wenig höher nahm er eine warme Rottönung an. Noch höher bildeten sich unerwartete Farben, Grüntöne, die in immer dunkler werdende Blauschattierungen übergingen und schließlich mit dem schwarzen, sternenübersäten Nachthimmel verschmolzen.
Ein hübscher Sonnenuntergang gilt als Zeichen für gutes Wetter, überlegte Emerahl. Was ich nur hoffen kann, denn sonst steht mir abermals eine raue Überfahrt bevor.
Der Sturm, der während der letzten Tage gewütet hatte, war von der Art gewesen, die leicht zum Untergang eines Schiffes führen konnte. Als er ein wenig abgeflaut war, hatte Emerahl nach der Treppe gesucht und sie schließlich gefunden. Sie war steil, schmal und überwuchert. Nachdem sie hinabgestiegen war, hatte sie sich gefragt, ob sie, wie Gherid es gesagt hatte, in der Höhle jemanden finden würde. Vielleicht ein Opfer des Sturms. Vielleicht die Möwe selbst.
Die Höhle war leer gewesen. Der Sturm hatte erneut an Wucht zugenommen, aber weder die Möwe noch irgendwelche Schiffbrüchigen waren erschienen. Sie war dort gefangen, aber das machte ihr nichts aus; sie hatte es nicht eilig. Die Höhle war nicht luxuriös, nicht einmal gemessen an den Maßstäben eines armen Menschen, aber sie war trocken. Emerahl konnte sich die Möwe hier gut vorstellen. Sie glaubte, ihn in den primitiven, aus Treibholz und Segeltuch gefertigten Möbeln riechen zu können - eine Mischung aus Schweiß, Salzwasser und Fisch.
Die Möwe selbst. Unsterblich. Geheimnisvoll. Ein Wilder wie sie.
Möglicherweise wusste er, dass jemand in seine Zuflucht eingedrungen war, und hielt sich deshalb fern. Es war eine Versuchung, noch ein Weilchen zu warten und festzustellen, ob er auftauchen würde. In der Höhle befand sich ein Vorrat getrockneter Speisen, und sie konnte Fische fangen.
Aber sie wollte die Vorräte nicht anrühren. Gherid hatte ihr erzählt, dass dieser Ort eine Zuflucht für jene war, die die Möwe gerettet
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