Das Zeitalter der Fuenf 03 Goetter
Sie blickte auf eine Stadt hinab, die in Mondlicht getaucht war. Helle Lichtpunkte säumten die Hauptdurchgangsstraßen, die die Stadt durchzogen, und die Lampen des Sanktuariums markierten die Grenzen der Innenhöfe.
Und in dem Innenhof direkt unter ihrem Zimmer schlenderte eine Gestalt ohne Hast vorbei. Eine vertraute, männliche Gestalt. Reivan hielt den Atem an und fragte sich, ob er sie gesehen hatte; sie hoffte, dass er die Erregung, die sie bei seinem Anblick durchströmte, nicht gespürt hatte.
Dann machte ihr Herz einen Satz, als er zu ihr aufsah und lächelte. Sie hob die Hand zum Gruß.
Ihr Götter, ich hoffe, er denkt nicht, ich hätte ihn beobachtet. Dann schnaubte sie leise. Nun, natürlich tut er das. Er kann meine Gedanken lesen. Oh nein.
Er hatte die Richtung geändert und kam jetzt auf sie zu. Sie zwang sich, weiterzulächeln und das Hämmern ihres Herzens zu ignorieren. Schließlich blieb er unter ihrem Balkon stehen und blickte zu ihr auf.
»Das Mondlicht steht dir gut, Reivan«, sagte er leise.
Ihr Herz sprang ihr in die Kehle und machte es ihr unmöglich zu antworten. Er will einfach nur nett sein , sagte sie sich. Er flirtet ein wenig mit mir.
Sein Lächeln verblasste. »Ich hoffe, du wirst nicht zulassen, dass Imenja und unsere Meinungsverschiedenheiten unsere Freundschaft zerstören.«
Freundschaft? Welche Freundschaft? Ich begehre ihn, ein Gefühl, das er vollkommen zu Recht ignoriert. Reivans ironische Erheiterung linderte die Anspannung in ihrer Kehle ein wenig.
»Natürlich nicht«, antwortete sie, dann fügte sie impulsiv hinzu: »Ich bin einfach nicht an Schmeichelei gewöhnt.«
Sein Lächeln wurde wieder breiter. »Dann müssen wir etwas an diesem Zustand ändern.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Und welchen Eindruck würde das den Leuten vermitteln?«
»Den richtigen Eindruck. Du bist eine bewundernswerte Frau.«
Hitze stieg ihr in die Wangen, und Hoffnung ließ ihr Herz abermals schneller schlagen.
»Du darfst mich nicht aufziehen«, sagte sie und zuckte dann zusammen, als sie den verzweifelten Tonfall in ihrer Stimme hörte. Verlegen trat sie zurück, um ihr Gesicht zu verbergen.
»Verzeih mir.« Seine Stimme wehte zu ihr empor. »Ich wollte dich nicht verärgern.«
Ärger? Ich bin nicht ärgerlich, ich schäme mich. Das muss er doch sehen. Natürlich tut er das! Sie spähte abermals wachsam über den Balkon, aber Nekaun war weitergegangen. Wo ist er jetzt? Sie trat an das Geländer und blickte suchend in den Innenhof hinunter.
Er war fort.
Mit dem Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben, kehrte sie in ihr Bett zurück, um sich abermals hin und her zu wälzen.
7
T yve war in der vergangenen Woche noch zweimal in die Höhle gekommen, offenbar nur, um festzustellen, ob Auraya und Jade etwas zu essen benötigten oder Hilfe brauchten. Jade hatte ihm höflich gedankt und ihn mit den Heilmitteln, die sie für die Leute in seinem Dorf hergestellt hatte, seiner Wege geschickt.
Die wir hergestellt haben , korrigierte sich Auraya, während sie weiter die getrockneten Blätter zermahlte, die Jade für sie dagelassen hatte. Während Jade jeden Tag für mehrere Stunden die Höhle verließ, um die Zutaten zu sammeln, hatte Auraya einen großen Teil ihrer Zeit darauf verwandt, die Heilmittel zuzubereiten. Auch jetzt war die andere Frau wieder auf der Suche nach Kräutern und Wurzeln. Manchmal fragte sich Auraya, ob es einen besonderen Grund für den wachsenden Vorrat an Heilmitteln im hinteren Teil der Höhle gab oder ob Jade es einfach nicht ertragen konnte, müßig zu sein.
Ich wüsste gern, ob sie zögert, wann immer sie in die Höhle zurückkehrt, und versucht, sich nicht auszumalen, dass ich sie verraten habe und einer der Weißen hier auf sie wartet…
Auraya lächelte, dann wurde sie wieder ernst. Vielleicht war das der Grund, warum Jade ihre Gedanken abgeschöpft hatte. Vielleicht hatte sie es jedes Mal getan, bevor sie in die Höhle zurückkehrte, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Schülerin sie nicht verraten hatte.
Es war unmöglich, nicht voller Sorge darüber nachzugrübeln, was Jade aus ihren Gedanken erfahren haben mochte. Auraya hatte Jade nicht das Versprechen abringen können, nicht wieder in ihre Gedanken einzudringen, daher war sie entschlossen, so schnell wie möglich einen starken, stabilen Gedankenschild zuwege zu bringen. Es fiel ihr inzwischen bereits leichter, den Schild aufrechtzuerhalten, und manchmal vergaß sie sogar, dass
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