Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
der Hand. »Wann haben wir uns zuletzt gesehen?«
Ben rechnete nach. »Vor fünf Tagen. Wieso?«
»Ich habe offenbar das Zeitgefühl verloren. Ich dachte, es sei eine Woche her.« Er starrte auf seine Füße, die in Plastikschuhüberzügen steckten, wie sie von Ärzten im OP getragen wurden. Oder von der Spurensicherung.
»Stimmt was nicht mit den Schuhen?«, fragte Ben.
»Nein, sie sind in Ordnung.«
»Was ist los?«
»Ich kann diese Plastikdinger nicht anfassen.« Er sah Ben nicht an, als er das sagte.
»Soll ich …?«
»Nein!«, rief Cedric, etwas zu heftig. »Vielen Dank. Nein.«
»Dann warten Sie hier, ich besorg Ihnen Handschuhe.«
»Nein, wirklich, das … müssen Sie nicht.«
»Okay …« Ben lehnte sich an die Wand, verschränkte die Arme und wartete ab. Cedric starrte weiter auf seine Füße.
»Vor fünf Tagen«, nahm er schließlich die Unterhaltung wieder auf.
»Aber da hatten wir keine Zeit, in Ruhe zu reden. Die hatten wir schon lange nicht.« Er stellte die Schuhe auf den Tisch und beugte sich vor, hielt die Hände aber auf den Knien und wandte den Blick nicht von den Füßen.
»Sie wollten nicht, war jedenfalls mein Eindruck.«
»Es gab auch nichts zu erzählen. Alles war in der Schwebe. Bis vergangenen Freitag.« Cedric setzte sich wieder aufrecht hin und schob die Schuhe auf dem Tisch zur Seite. Sehr ordentlich und mit größter Sorgfalt. »Da wurde entschieden, dass das Testament meines Vaters gültig ist. Lillian ist Alleinerbin. Mein monatliches Einkommen wurde begrenzt. Das Haus wurde Lillian zugeschrieben. Ich muss Ende des Jahres ausziehen und mir eine Wohnung suchen. Ob ich weiter Herausgeber der Zeitung bleibe, steht noch nicht fest. Auch nicht, ob und welche geschäftlichen Tätigkeiten ich außerdem übernehme.«
»Und die Zeitung?«, fragte Ben. »Muss ich mich doch wieder woanders bewerben? Sagen Sie’s mir früh genug, die Selbstständigkeit bringt mich sonst wieder nur an den finanziellen Abgrund.«
»Es ist noch, man könnte sagen, in Verhandlung. Seit dem Tod meines Vaters wird auch immer noch geprüft, ob ich in der Zeit zuvor sein Vermögen, wie es heißt, ›sinnvoll verwaltet‹ habe. Lillian war der Meinung, ich hätte Gelder veruntreut oder fahrlässig verschleudert und ihr damit geschadet. Kurz: Seit das Gericht immerhin schon mal darüber entschieden hat, wie mein monatliches Einkommen auszusehen hat, kann ich mir so einiges nicht mehr leisten. Keine Sorge, das Geld für Schuhe und Mantel bekommen Sie natürlich zurück.«
»Ich habe das nicht bezahlt«, sagte Ben. »Ich habe es auf Ihren Namen anschreiben lassen.«
Cedric hob den Blick und nickte.
»Sie mussten also ein paar Ihrer persönlichen Angestellten entlassen?«
»Alle. Lillian hat ihnen eine hohe Abfindung gezahlt, damit sie eine fristlose Kündigung hinnehmen. Sie wollte mich damit selbstverständlich quälen.« Er atmete tief durch, hob einen Fuß an und riss das Plastik herunter. Dann biss er sich auf die Lippen, schloss die Augen und wiederholte das Ganze mit dem anderen Fuß. Er setzte die Füße nicht auf den Boden, sondern hielt sie gute zehn Zentimeter darüber.
»Wären Sie so nett, mir die Schuhe hinzustellen?«, murmelte er.
Ben konnte nicht anders, er musste lächeln. »Klar.«
»Anziehen kann ich sie alleine.«
»Alles okay«, versicherte Ben. »Aber Ihren Anwalt haben Sie noch?«
»Ich brauche ihn nicht. Ich habe nichts getan. Die Blutspuren an meiner Kleidung kann ich erklären, so wie auch jeden einzelnen Fußabdruck, und wenn man hier bei der Fife Constabulary endlich so weit ist, das Bewegungsprofil meines Mobiltelefons auszuwerten, kann man lückenlos überprüfen, wann ich wo war. Das sollte sogar diesen Herrn, der mich verhaftet hat, überzeugen. Man hat mich nicht informiert darüber, wie man die Tatzeit einschätzt, aber ich vermute, dass Lillian schon eine Weile tot war, als ich ankam. Zur Tatzeit stand ich schätzungsweise im Stau.«
»Nachts im Stau?«
»Ein LKW war umgekippt.«
»Das lässt sich rausfinden.«
»In der Tat.« Cedric überprüfte ein letztes Mal die Schnürsenkel, stand auf und nahm den Mantel aus der Einkaufstasche. »Und irgendwann werden diese Herrschaften hier verstanden haben, dass ich kein Motiv gehabt hätte, Lillian zu töten.«
Ben hatte die Tür des Vernehmungsraums schon halb geöffnet. Jetzt schloss er sie schnell und drehte sich zu Cedric um. »Sie hatten jedes Motiv! Diese Frau hat Ihnen Ihr Haus, Ihr Geld, alles abgenommen.
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