Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
Rede. Ein Meteorologe – Wetterexperte, wie sie ihn nannte – wurde zugeschaltet. Er erklärte, wie Schnee entstand und wann er warum fiel. Auf die Frage, wie lange der ungewöhnlich starke Schneefall noch anhalten würde, prognostizierte er mit Drama in der Stimme, dass bis zum Wochenende keine Änderung in Sicht sei.
Nach nur einem Tag Schnee war Schottland im Ausnahmezustand.
»Wo fahren Sie hin?«, fragte Cedric und sah sich nervös um.
»Zu Ihnen.«
»Warum? Ich weiß nicht, ob ich nach Hause will.«
Ben fuhr unbeirrt weiter. »Sie nehmen Ihre Tabletten, duschen eine Runde, legen sich ins Bett und schlafen sich aus.«
»Gegenvorschlag: Ich nehme meine Tabletten, dusche, ziehe mich um und fahre mit zu Ihnen.«
»Zu mir?«
»Ja. Abendessen. Über alles reden. Wir müssen überlegen, wie es weitergeht.«
»Wir?«
Ben spürte Cedrics Blick auf sich. Spürte seine Not. Wusste, dass Cedric niemanden hatte. Keine Freunde, keine Verwandten, auf die er sich verlassen könnte. Und er hatte Angst davor, alleine sein zu müssen, obwohl er sich gleichzeitig nichts mehr wünschte, als alleine zu sein. Dieses Paradox zerriss ihn.
Ben seufzte. »Sorry. Mein Vater ist zu Besuch, und ich hätte mich schon den ganzen Tag um ihn kümmern müssen. Und Sie sollten schlafen. Wir reden morgen.«
Er hielt vor Cedrics imposanter Villa in Merchiston, ließ ihn aussteigen und wartete, bis er im Haus Licht sah. Dann drehte er und fuhr ans andere Ende der Stadt, um nach Hause zu kommen.
Hoffentlich hatte sein Vater nicht wieder irgendeinen Scheiß gebaut. Eins hatten John Edwards und Cedric Darney, so unterschiedlich sie auch sonst waren, gemeinsam: Sie konnten nicht für sich selbst sorgen. Nicht einen einzigen Tag.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Sonntag, 21. 12. 2003
Sonntage sind schrecklich. Ich kann nichts machen außer Flyer zu verteilen. Pete fragte, ob wir zusammen Weihnachten feiern. Ich habe gesagt, dass ich zu meiner Familie nach Devon fahre.
Natürlich werde ich das nicht tun, aber ich will auch nicht mit Pete herumsitzen. Ich muss mir noch was überlegen.
Ich könnte ein paar Leute in New York anrufen, ob ich die Feiertage bei ihnen verbringen kann. Ich habe mich über ein Jahr nicht mehr bei ihnen gemeldet.
Vielleicht doch keine gute Idee. Außerdem zu kurzfristig.
Matt hat angerufen und gefragt, wie es mir geht und ob er etwas für mich tun kann. Er hat vorgeschlagen, eine Homepage einzurichten und den Link an alle Bekannten per E-Mail zu schicken mit der Bitte, ihn weiterzuverteilen. So, wie es die Leute mit den Aufrufen zu Knochenmarks- oder Blutspenden machen.
»Man braucht in ein paar Jahren keine Zeitungen mehr«, sagt er immer. »Und auch kein Fernsehen. Es findet alles nur noch im Internet statt.«
Ich habe keine Ahnung von diesen Dingen. Ich habe sicher einiges an technischem Fortschritt verschlafen. Wenn man mit den Händen arbeitet … wenn man mit allen Sinnen arbeitet, dann braucht man Computer nicht. Ich jedenfalls nicht. Ich bin lieber bei den Instrumenten und kümmere mich darum, dass sie wieder so klingen, wie es ihnen bestimmt ist. Ich schreibe ja sogar mit der Hand. Es hilft mir, meine Gedanken zu ordnen, und es zwingt mich, mit allem genau zu sein. Ich habe noch nie Tagebuch geschrieben, aber seit Sean weg ist, habe ich das Gefühl, alles festhalten zu müssen, damit nichts vergloren geht. Vielleicht kann ich es ihm zum Lesen geben, wenn er wiederkommt.
Ich gehe jetzt runter in die Werkstatt und arbeite. Sonst werde ich verrückt. Ich arbeite nun doch an dem Klavier der netten alten Dame in Merchiston. Es ist so ein wunderbares Stück … Wir haben uns darauf geeinigt, dass sie nur einen Teil der Kosten übernehmen muss. Den Transport, zum Beispiel. Ich habe einen besonderen Platz für das Instrument geschaffen, damit das Licht stimmt und ich gut daran arbeiten kann. Ich will seinen Charme spüren, wenn ich die Werkstatt betrete, und ich glaube, das ist mir gelungen. Es wird sehr viel Zeit kosten, es wiederherzustellen.
Nachtrag:
Jemand war auf der Mailbox, eine Frau. Sie glaubt, Sean gesehen zu haben. Sie klang vernünftig, als ich sie zurückrief. Sie wohnt in Glasgow und ist gerade zu Besuch bei einer Freundin in Edinburgh, und sie meint, Sean in Glasgow in einem Pub gesehen zu haben. »Hinter dem Tresen, nicht davor«, sagte sie. »Es ist ein Pub im West End, nicht weit vom Botanischen Garten. Es heißt Curlers Rest. Ich weiß nicht, ob er da jeden Abend arbeitet, aber
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