Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
bauen. Ich war schnell aufgestiegen und durfte mich um immer exklusivere Kunden, immer bekanntere Pianisten und ihre Instrumente kümmern. Bis ich wieder genau in der Welt angekommen war, vor der ich weggelaufen war. Bei den Reichen und Schönen. Nur waren sie in New York noch hundertmal reicher und schöner als in Plymouth. Oder in England überhaupt. Mein beruflicher Erfolg verstellte mir eine Weile den Blick für das, was mit mir geschah.
Ich hatte Eltern in England zurückgelassen, die mich dafür verachteten, nur ein Handwerk zu lernen, statt mich akademisch zu bilden und einen gut bezahlten Job sowie einen gewissen Status im Leben zu erreichen. Vater hätte mir vermutlich verziehen, dass ich nicht in die Firma einsteigen wollte, wenn ich Ärztin geworden wäre. Oder Anwältin. Oder Professorin. Aber er sagte immer: »Du bleibst unter deinen Möglichkeiten. Du verschenkst deine Talente.« Ich galt mittlerweile als die Beste in meinem Job, die großen Konzertsäle, die berühmten Pianisten verlangten nach mir. Ein Fernsehsender brachte ein Portrait über mich als »Pianoflüsterin«. Andere würden einen Steinway vielleicht perfekt stimmen und temperieren, aber ich würde ihn verzaubern. So redeten sie über mich. Ich war stolz drauf. Ich hatte das Gefühl, Vater endlich gezeigt zu haben, dass ich das Richtige mit meinem Leben machte.
Kaum war das Porträt ausgestrahlt worden, kamen die Einladungen zu Partys. Ich erwartete, dort auf Künstler zu treffen, die über ihre Musik und ihre Instrumente und das alles reden würden. Ich geriet an die Reichen und Schönen, die sich hier und da mit einem bekannten Musiker schmückten. Und mit mir, weil ich jetzt irgendwie bekannt war, zumindest in der Szene. Oder vielmehr war ich eine Kuriosität, mit der man die gelangweilte Partygesellschaft aufwertete. In dieser Zeit boten sie mir bei Steinway die richtig große Karriere an.
»Wir haben viel mit dir vor«, sagte man mir. »Wir müssen darüber reden, was du willst, und du wirst es von uns bekommen.«
Ich sollte in Ruhe nachdenken, wie ich mir meine Zukunft vorstellte.
Ich dachte eine Woche nach, packte alle meine Sachen zusammen, kündigte und flog zurück nach England.
Das Leben meiner Eltern kam mir klein und beschränkt vor nach allem, was ich in New York erlebt hatte. Gleichzeitig widerte mich an, wie sauber hier alles war. Sauber, aufgeräumt und – weiß. Nach sieben Jahren in New York war ich es nicht mehr gewohnt, ausschließlich von Weißen umgeben zu sein. Ich merkte, wie sich mein Denken, mein Empfinden, sogar mein Akzent verändert hatten. Ich war noch mehr Außenseiter geworden als zuvor. Oder nein, nicht Außenseiter – jetzt war ich ein Fremdkörper. Früher hatte es sich einfach nur falsch angefühlt, Teil dieser Familie zu sein. Nun war es, als hätte ich nie dazugehört.
In der Tür geirrt.
Aus Höflichkeit hereingebeten worden.
Aber ich wusste zunächst nicht, wo ich sonst hinsollte.
Ich würde kein Problem haben, einen neuen Job zu finden. In London würden sie mich vom Fleck weg einstellen. Ich könnte mich selbstständig machen und hätte nach einer Woche einen vollen Terminkalender. Mein Ruf war bereits über den Atlantik geschwappt. Dass ich wieder in England war, verbreitete sich ebenso schnell, und mein Postfach quoll mit Mail-Anfragen über.
Nur, dass ich das alles nicht mehr wollte. Ich brauchte immer noch Bedenkzeit. Saß in meinem alten Kinderzimmer, starrte an die Wand und dachte nach.
Matt hatte nur wenig Zeit, er arbeitete viel in der Firma, und wenn er rauskam, musste er nach Hause, um nach seinen winzigen Söhnen und seiner überforderten Frau zu sehen. Also fing ich an, ihn im Büro zu besuchen, und wenn ich ihn auf seinen Rundgängen durch die Werfthallen und die Werkstätten begleitete, bekam ich Sehnsucht nach meiner Arbeit. Nach echter Arbeit mit den Händen. Ich fragte ihn: »Kannst du mich nicht für irgendwelche Holzarbeiten einsetzen? Irgendwas muss ich tun, sonst drehe ich durch.«
»Vater hätte lieber, dass du ein Büro in der Chefetage beziehst.« Er lachte, als er das sagte.
»Gerne. Und die Erde ist eine Scheibe.«
Am nächsten Tag durfte ich in der Tischlerei arbeiten. Ich war die einzige Frau, aber daran hatte ich mich längst gewöhnt. Auch daran, wie mich die Männer behandelten. Wie wenig sie mir zunächst zutrauten, wie die einen mich unverschämt anmachten, die anderen noch viel unverschämter mobbten. Niemand wusste, dass ich die Tochter des Chefs
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