Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
habe stundenlang die Einträge gelesen und weiß immer noch nicht, ob es mir hilft zu wissen, dass ich nicht allein bin mit meinem Schmerz, oder ob es mir einfach Angst macht.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Sonntag, 4. 1. 2004
Sergeant Reese hat angerufen, er holt mich gleich ab. Er sagt, sie haben jemanden gefunden …
Sean ist tot.
Pete hat es gewusst …
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Montag, 5. 1. 2004
Den Toten sehen zu müssen, hat mich kaputt gemacht.
Reese und Mahoney holten mich ab. Wir fuhren zusammen zum Revier. Albern, die kurze Strecke zu fahren, aber sie bestanden darauf. Im Büro zeigten sie mir Fotos von dem Gesicht eines Mannes, der die Augen geschlossen hatte. Er war ganz weiß. Sogar die Lippen waren fast weiß. Weiß und fleckig. Verquollen, verformt, verfärbt. Aufgeplatzt, eingerissen, kaputt. Die Haare dunkel, wie die von Sean. Die Nase ganz gerade, wie die von Sean.
Das ist nicht Sean, dachte die eine Hälfte meines Gehirns, und die andere drehte durch und schrie: Du willst ihn nur nicht erkennen, du verweigerst dich, du kannst dir selbst nicht mehr trauen.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Was ist mit ihm passiert?«
»Hatte er irgendwelche besonderen Kennzeichen? Bei der Vermisstenmeldung wurden keine angegeben, keine Narben, keine Tätowierungen oder Piercings oder Ähnliches, aber vielleicht hat sein Vater etwas vergessen?«, wollte Reese wissen.
Ich schüttelte den Kopf. »Er hatte Schnittverletzungen, bevor er … also …«
»Wo?«
»Am Arm. Schnittverletzungen. Einige davon waren sehr tief, ich weiß nicht, wie schnell so etwas heilt.«
»Und die hat er sich wann geholt?«
»Einen Tag, bevor er verschwand.«
»Und wie?«
»Er ist in eine Glasscheibe gestürzt.«
Reese hob die Augenbrauen. »Wow. Dann hat er vermutlich noch Glück gehabt.«
Ich sagte nichts, zuckte nur die Schultern.
»Wie ist er in diese Glasscheibe gefallen?«, fragte er.
»Ist der Tote Sean oder nicht?«
»Sie müssten mir schon sagen, wie er sich die Schnitte zugezogen hat.«
»Also ist er es?«
Reese sagte nichts.
Und ich brach weinend zusammen. Ich kann mich an nicht viel erinnern, nur, dass Reese mir dauernd sagte, ich solle mich beruhigen, und dass er irgendwann sehr laut sagte: »Er ist es nicht! Hören Sie mich, er ist es nicht!« Aber es war zu spät, ich konnte mich nicht beruhigen. Ich hatte so lange nicht mehr richtig geschlafen, ich hatte keine Nerven mehr, ich hatte die ganze Zeit Hoffnung gehabt, aber seit Hogmanay ist diese Hoffnung gestorben, und vielleicht mit ihr auch Sean, und dann zeigten sie mir auch noch Fotos von einem Toten, der Sean sein könnte oder auch nicht, woher sollte ich das wissen, und Pete lag im Krankenhaus, deshalb waren sie damit zu mir gekommen … Nein, es ging nicht, ich weinte und konnte einfach nicht mehr. Reese und Mahoney brachten mich nach Hause. Ich weigerte mich, ins Auto einzusteigen, also gingen wir zu Fuß, und an der frischen Luft beruhigte ich mich wieder. Ich wollte nicht mit ihnen in unsere Wohnung, ich ging in die Werkstatt und setzte mich auf das alte Sofa im Büro. Mahoney machte sich wortlos daran, uns Tee zu kochen.
»Es war die Glasscheibe von der Bürotür, richtig?«, sagte Reese ruhig.
Ich nickte, wischte mir die Tränen ab, schnäuzte mich.
»Und Sie haben ihn gestoßen, als Sie Streit mit ihm hatten.«
Ich nickte wieder.
»Worum ging es in dem Streit?« Er nickte Mahoney knapp zu, als dieser jedem von uns eine Tasse reichte.
»Egal. Er ist nicht der Tote, haben Sie gesagt. Er ist es doch nicht?«
Er murmelte etwas von »Rücksprache mit der Rechtsmedizin« und »Endgültige negative Identifizierung durch den Vater abwarten«, aber irgendwie wusste ich, dass er nicht mehr glaubte, dass der Tote Sean war.
»Wo haben Sie ihn gefunden?«, fragte ich.
»Salisbury Crags.«
»Oh nein, ist er gesprungen?«
»Milzriss. Offenbar in eine Schlägerei geraten, verletzt worden, nicht sofort gemerkt, wie schlimm es ist, in den Holyrood Park zurückgezogen – warum auch immer … Dort zusammengebrochen und innerlich verblutet.«
»Dann ist das …«
»Ein Tötungsdelikt, ja.« Er sah mich direkt an.
»Was wollen Sie von mir hören? Dass es Sean ist und ich ihn umgebracht habe?«
»Warum haben Sie ihn gegen die Tür gestoßen?«
»Das war vor vier Wochen! Selbst, wenn der Tote Sean wäre …«
»Das weiß ich. Aber ich habe Sie gefragt, warum Sie sich so heftig gestritten haben, dass Sie ihn gegen die Tür
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