Das zerbrochene Siegel - Roman
anderen Seite hinter dem Chorraum nach draußen führte, doch sie würde keine der beiden Pforten erreichen können, ohne den Fürsten in die Arme zu laufen. Ihr würde nicht anderes übrig bleiben, als still zu verharren und zu hoffen, dass man sie in der dunklen Nische nicht bemerkte.
»Weiß der Abt, wo er uns finden wird?«, wollte Rudolf wissen.
»Natürlich. Ich sagte ihm, wir würden hier in der Kapelle für die Gesundheit des Königs beten.«
»Dann sollten wir das vielleicht auch tun.«
Der Herzog von Bayern lachte schallend. »Mir braucht Ihr nichts vorzumachen. Heinrichs Tod käme Euch doch mehr als gelegen. Ihr wärt nur zu gewillt, seinen Platz einzunehmen.«
»Ich strebe nicht nach der Königswürde«, erklärte Rudolf ruhig.
»Ihr würdet Euch also nicht zur Wahl stellen, falls der König stürbe?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
Otto schnaubte. »Pah! Versucht es nur. Die Sachsen werden Euch niemals folgen. Und solange ich Herzog von Bayern bin, auch nicht die Bajuwaren.«
»Ach, und Ihr denkt, die Fürsten und die übrigen Stämme würden Euch folgen?«, erkundigte sich Rudolf.
»Warum nicht? Mein Weib ist eine Tochter aus Ezzos hohem Geschlecht, eines Enkels von Kaiser Otto dem Gro ßen.«
»Welcher Hahn kräht noch nach dem Geschlecht Ottos?«, spottete Rudolf. »Ich muss mich zumindest nicht mit der Herkunft meines Weibes schmücken, stammt doch meine Mutter selbst in direkter Linie von Kaiser Konrad ab. Und es ist die salische Linie, die gegenwärtig von Bedeutung ist.«
Verstört schlug sich Bertha die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzustöhnen. Kaum einen Spatzenflug von hier entfernt kämpfte Heinrich um sein Leben, während seine Vasallen hier bereits um seine Krone schacherten. In ihre Angst, entdeckt zu werden, mischte sich tiefes Mitleid mit ihrem zukünftigen Gemahl.
Dann hörte sie, wie die Pforte hinter dem Chor aufging, doch die beiden Streithähne schienen den Neuankömmling nicht zu bemerken.
»Es war ein Fehler, dass die Krone nach dem Tod Heinrichs II. in salische Hände fiel. So viel ist gewiss«, dröhnte Otto. »Sie hätte schon damals in sächsischen Händen verbleiben müssen.«
Rudolf lachte leise. »Nur waren die Sachsen dazumal nicht Manns genug, um einen Nachkommen zu zeugen.«
»Das ist doch …«, brauste Otto auf, aber der Neuankömmling unterbrach ihn.
»Vielleicht solltet Ihr das Fell des Bären nicht verkaufen, ehe er erlegt ist«, sagte er. Auch seine Stimme kam
Bertha vertraut vor, doch sie klang dumpf und auf eine Weise fremd, als wäre der Mund des Sprechers verdeckt. Sie konnte das Gesicht in ihrem Gedächtnis nicht finden, das zu der Stimme gehörte.
»Wenn der König stirbt, lässt er keinen Erben zurück. Das Reich wäre führerlos. Und was das bedeuten könnte, muss ich Euch nicht erklären«, schnappte der Bayernherzog ungehalten.
»Und doch hat er recht. Es ist weder die rechte Zeit noch der rechte Ort, um über Heinrichs Nachfolge zu sprechen«, räumte Rudolf ein. »Was führt Euch zu uns?« Die Frage schien an den geheimnisvollen Neuankömmling gerichtet.
»Ich komme direkt von Heinrichs Lager. Sein Zustand ist unverändert. Abt Udalrich bat mich, Euch das mitzuteilen«, antwortete er. Dann senkte er seine Stimme zu einem schwer verständlichen Flüstern herab. »Und noch etwas: … habe Nachricht von unserem Auge in Worms erhalten. Die Spur sei vorübergehend erkaltet, doch was wir suchen, könnte sich bereits in Lorsch befinden … jedoch nicht sicher.«
Die Schritte und Stimmen zeigten an, dass die Männer sich auf die Pforte der Kapelle zubewegten.
»Wir wüssten es, wenn dem so wäre, darauf verwette ich meine Schwurhand«, erklärte Rudolf mit Nachdruck. »Gibt es sonst noch etwas?«
»… berichtet, dass der Burggraf von Worms die Angelegenheit ebenfalls verfolgt. Offenbar wählte der übereifrige Narr von Flonheim ausgerechnet das Anwesen des Burggrafen, um sein Leben auszuhauchen. … möchte wissen, wie er damit verfahren soll?«
»Verdammnis«, knurrte Rudolf verhalten. »Ich kenne den Mann. Bandolf von Leyen ist wie ein Frettchen auf Rattenjagd. Erwischt er auch nur den Schwanz, lässt er die Ratte nie mehr los.«
»Dann sollte man ihn daran hindern, besagten Schwanz zu erwischen«, warf Otto ein.
»… Order geben, der Mann möge einen bedauerlichen Unfall erleiden?«
»Seine Eminenz, mein Bruder, wäre gewiss nicht gänzlich untröstlich, erführe er vom Ableben des Burggrafen«, meinte Rudolf trocken.
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