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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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Glockengeläut gehört hatte, das die Mönche zum Mitternachtsgebet rief.

    Und was würde es für einen Eindruck machen, wenn man sie mitten in der Nacht dabei ertappte, wie sie in der Pfalz umherschlich? Aber der Drang nach frischer Luft und ein wenig Abgeschiedenheit war stärker als die Furcht, erwischt zu werden. Entschlossen raffte Bertha ihr Gewand und lief die Stufen hinunter.
    In der Halle hingen noch die abgestandenen Gerüche nach schalem Bier und Wein, kaltem Fett und gewürztem Fleisch von der letzten Mahlzeit. Die Hörigen hatten die Fackeln an den Wänden längst gelöscht. Nur wenig Licht fiel von oben in den Raum, doch es genügte, um ihr den Weg zur Pforte zu weisen, die nach draußen in den Hof führte. Ungeachtet der kalten Luft, die ihr entgegenschlug, als sie ins Freie trat, lachte Bertha laut auf, so erleichtert war sie, der stickigen Enge ihrer Kammer entronnen zu sein.
    Schräg gegenüber des Pfalzbaus lag die Pfalzkapelle, und Bertha überlegte, ob die friedliche Stille der Kirche ihr ruheloses Gemüt vielleicht besänftigen würde. Entschlossen steuerte sie darauf zu. Sie hatte keine Lampe bei sich, doch der Himmel war klar, und ein abnehmender Mond begleitete ihre beschwingten Schritte.
    Als sie die Pfalzkapelle erreicht hatte, legte Bertha, plötzlich zögernd, ihre schmale Hand gegen die eisenbeschlagene Pforte, als könne sie durch das Holz erspüren, ob sich jemand im Inneren aufhielt. Was sollte sie tun, wenn man sie hier entdeckte? Es sei verdächtig, wie sich die zukünftige Königin nachts heimlich aus ihrer Kammer schlich, würden böse Zungen behaupten. Unschlüssig biss sie sich auf die Lippen. Noch hatte niemand sie gesehen. Sie konnte immer noch umkehren. Aber wer würde ihr übel vermerken, wenn sie, beunruhigt durch die schwere Krankheit ihres Verlobten, für Heinrichs Genesung beten wollte?, beschwichtigte sie sich selbst. Nur Gott und später ihr Beichtvater würden
wissen, dass sie hauptsächlich um ihrer eigenen aufgewühlten Seele willen gekommen war.
    Vorsichtig öffnete sie die Pforte und spähte hinein. Neben dem Tabernakel brannte das Ewige Licht. Die kleine Lampe erhellte nur den Hochaltar und den Chor. Das Mittelschiff lag im Dunkel, und die Pfeiler, die die Decke trugen, ragten scheinbar endlos nach oben.
    Nichts und niemand rührte sich, als Bertha eintrat.
    Die Ledersohlen ihrer Schuhe machten kaum ein Geräusch auf dem mit bunten Marmorplättchen ausgelegten Boden. Vor dem Altar erwies Bertha dem Kreuz ihre Referenz, doch dann wandte sie sich einer seitlichen Nische zu, wo eine Statue der Muttergottes stand. Zu Füßen der Heiligen Jungfrau kniete sie sich nieder, schloss die Augen, und wie von selbst begannen ihre Lippen, ihr Gebet zu formen.
    Salve Regina, mater misericordiae. Gegrüßt seist du, Königin, Mutter der Barmherzigkeit. Vita, dulcedo et spes nostra, Salve! Unser Leben, unsere Süßigkeit und Hoffnung, sei gegrüßt! Ad te clamamus, exsules filiae Hevae. Zu dir rufen wir, die elenden Töchter Evas. Ad te suspiriamus. Zu dir seufzen wir. Gementes et … Trauernd und …
    Jäh wurde Bertha aus ihrem Gebet gerissen.
    Die Pforte der Kapelle knarrte. Erschrocken presste Bertha die Augen fest zusammen und hielt den Atem an. Sie hätte sich umdrehen müssen, um sehen zu können, wer eingetreten war. Doch sie wagte nicht, sich zu rühren. Schwere Schritte näherten sich dem Chor, und das Mädchen hoffte inständig, die Dunkelheit in der Nische würde sie vor den Augen des Ankömmlings verbergen. Für eine kurze Weile war es still. Bertha stellte sich vor, wie er vor dem Altar kniete, um zu beten. Die Vorstellung beruhigte sie.
    »Wie geht es dem König?«

    Die leise Stimme gehörte Rudolf von Rheinfelden, dem Herzog von Schwaben. Und er war offensichtlich nicht allein gekommen.
    »Nicht gut, wie man hört. Abt Udalrich ist jetzt bei ihm. Ich habe ihn ersucht, er möchte uns noch vor der Matutin von Heinrichs Zustand unterrichten«, antwortete Otto von Northeim. Otto, dem großen, stämmigen Bayernherzog, gelang es nie, auch nur ein Wort zu flüstern, und seine tiefe, dröhnende Stimme schien in der kleinen Kapelle nachzuhallen.
    Süßer Jesus! Mussten es ausgerechnet diese beiden Fürsten sein? Der riesenhafte Otto hatte Bertha schon als Kind Angst gemacht, und Rudolfs spottgefärbte Art war ihr nicht geheuer. Sie riss die Augen auf und sah sich gehetzt nach einem Ausweg um. Außer der Hauptpforte gab es noch eine kleine niedrige Tür, die auf der

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