Das zerbrochene Siegel - Roman
Frauen teilen: mit ihrer Mutter, der Markgräfin Adelheid von Turin und Savoyen, mit ihrer Base, Mathilde von Tuskien und Canossa, und mit einer Magd.
Während Berthas Mutter und ihre Base ruhig und gleichmäßig atmeten, schnarchte die Magd zu Füßen der Markgräfin zum Gotterbarmen. Auch schien sie an einem Ungleichgewicht ihrer Körpersäfte zu leiden, denn in unregelmäßigen Abständen begann ihr Gedärm laut zu gluckern, und übelriechende Winde verließen ihren Leib.
Entschlossen kniff das Mädchen die Augen zu und versuchte, den Schlaf herbeizuzwingen, doch ihr aufgewühlter Geist kam nicht zur Ruhe.
Königin des Reiches, wiederholte sie in Gedanken. Das Gewicht dieser Worte legte sich wie ein schwerer Eisenring um ihre Brust. Heinrich und sie waren einander schon im
Kindesalter versprochen worden, und seit sie denken konnte, hatte man sie darauf vorbereitet, eines Tages Königin zu werden. Im Gegensatz zu ihrer Base Mathilde, die sich gegen die geplante Vermählung mit ihrem Stiefbruder heftig auflehnte, war Bertha jedoch kein rebellischer Geist. Längst hatte sie sich damit abgefunden, einen jungen Mann zu heiraten, der bestenfalls brüderliche Gefühle für sie hegte.
Als Kinder hatten sie miteinander gespielt, und auch später war Heinrich ihr zumeist freundlich begegnet, falls er sie überhaupt bemerkt hatte. Dennoch: Der Gedanke, Königin des Reiches zu werden, machte ihr Angst, und insgeheim quälte sie die Sorge, der Last nicht gewachsen zu sein. Hinzu kam, dass sie sehr wohl wusste, welchen Widerstand ihr Anverlobter dieser Hochzeit entgegenbrachte.
Seit König Heinrich im vergangenen Jahr die Vormundschaft der Erzbischöfe abgestreift hatte, begehrte er gegen die Macht der Fürsten auf, und auch gegen die geplante Vermählung, die von seinen Vasallen befürwortet wurde. In einer stillen Stunde hatte er ihr anvertraut, sie sei ihm lieb wie eine Schwester, aber er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, das Bett mit seiner Schwester zu teilen.
Die junge Bertha konnte sich das ebenso wenig vorstellen, aber kein Mensch hatte sie je danach gefragt.
Das Mädchen seufzte tief. Womöglich würde es dazu nun auch gar nicht mehr kommen. Seit zwei Tagen lag der junge König mit einem schweren Fieber auf seinem Lager, und es war ungewiss, ob er die Krankheit überstehen würde. Trotz seiner Vorbehalte gegen ihre Hochzeit war sie dem Spielkameraden von einst zugetan. Und wenn Heinrich vor der Zeit starb, was wurde dann aus ihr?
Bertha öffnete die Augen und starrte in die Dunkelheit.
Es gab noch etwas anderes, das sie beunruhigte. Schon vor Heinrichs plötzlichem Fieber hatte sie zu spüren geglaubt, dass bei Hof etwas im Gange war. Heimliches Getuschel
der Fürsten in verborgenen Nischen, das verstummte, wenn Bertha vorüberging; ihre Mutter, die sie bei der kleinsten Unachtsamkeit gereizt anfuhr; Heinrich selbst, der tagelang in aufgeregter Stimmung war und den Erzbischof von Köln »seinen lieben, treusorgenden Freund« nannte, obwohl Bertha doch wusste, dass er seinen ehemaligen Vormund bis aufs Blut hasste. Eine eigenartig angespannte Stimmung herrschte in der Pfalz zu Lorsch, ja, im ganzen Kloster, und schien nun in der Krankheit des jungen Königs zu gipfeln. Aber was genau vorging, das hatte sie nicht herausfinden können.
Fröstelnd zog sich Bertha die schwere Felldecke bis übers Kinn, was das Atmen jedoch nur noch mühsamer machte.
Allmächtiger, gib mir ein Quäntchen Luft, flehte sie stumm, aber der Herrgott schien anderweitig beschäftigt zu sein und erhörte sie nicht.
Endlich schob sie die Felldecke zurück, tastete in der Dunkelheit nach ihrem Gewand, das sie zu Füßen der Bettstatt abgelegt hatte, und streifte es über.
Die Tür knarrte, als Bertha sie öffnete. Erschrocken lauschte sie einen Augenblick, doch die Geräusche in der kleinen Kammer veränderten sich nicht. Leise schlüpfte sie hinaus und schloss vorsichtig die Tür hinter sich.
Ein paar Fackeln an der weiß getünchten Wand tauchten den Gang in ein schummriges Licht. Türen an den Seiten zeigten den Einlass zu anderen kleinen Kammern wie der ihren, und am Ende des Korridors führte eine Treppe hinunter in die Halle der Pfalz. Vor der ersten Stufe zögerte das Mädchen. Wie spät mochte es sein? Nach der Komplet waren sie zu Bett gegangen, doch wie viel Zeit seither verstrichen war, ließ sich schwer schätzen. War es noch vor der Matutin, oder schon danach? Bertha konnte sich nicht erinnern, dass sie das
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