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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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hatten, und gewöhnte sich langsam an all das, irgendwoher mußte er ja seine Naturbegeisterung haben, oder war sie ihm einfach angeboren? So gewöhnte ihn vielleicht der angebliche (ich weiß es ja nicht, ich hörte ja nur davon) Haß seines Vaters an die Usa, die Wetterau und den Wald und von da vielleicht an Heino und das deutsche Liedgut und an Luis Trenker, die Bergrettung, die Wehrmacht, die Heldenflieger und Heldengeneräle und überhaupt die alte, große Zeit (über die schon damals keiner mehr sprach, was J. auch nur immer so hinnehmen konnte, ohne eswirklich zu verstehen). So war er also Teile seiner Jugendtage immer ein nach draußen Verwiesener, und vermutlich hatte er dort draußen Ruhe vor so manchem und am Ende vor sich selbst. Insofern war sein Vater sogar prägender als seine Mutter, denn der Vater gab ihm eine Welt, die täglichen drei Kilometer und damit vielleicht die ganze Wetterau bis hin zum Forsthaus Winterstein, wo J. hinging, genauso, wie ich später wegen J. auf den Friedhof ging, wenn er zu uns nach Hause nach Friedberg kam und ich nicht mehr atmen konnte und folglich an jedem Wochenende die Grabsteine auswendig lernte. J.s Mutter war dagegen immer nur das Zuhause und das Gesetz. Andererseits, hätte es nur sie gegeben, hätte er nie fliehen müssen. Drei Kilometer, mein Onkel jeden Tag allein mit sich, mit siebzehn, mit achtzehn, vielleicht hat er dort seinen ersten Eisvogel gesehen, vielleicht fing alles da für ihn an, und in den Wirtschaften durfte er Bier trinken, was er in der Firma wahrscheinlich nicht durfte, und vielleicht war die Wirtschaft für ihn von Anfang an folgendes: Dort konnte er nachahmen, wie sie in der Firma Bier tranken, am Kran, in den Hallen, in den Fahrerkabinen, und so konnte er in den Wirtschaften doch auch ganz gut zu den Steinwerken Boll dazugehören, irgendwie. So lernte er durch diese drei Kilometer (es lag auf dem Weg eine Gastwirtschaft, Zum Kühlen Grund) sowohl die Blumen und Tiere als auch das Bier und die Gastwirtschaft kennen, vielleicht als fast ein und dasselbe von Anfang an (am liebsten ging er in Gastwirtschaften, zu denen er erst durch einen Wald hindurch mußte). Die Jägerei war dann später für ihn die Summe aus beidem. Ein Jäger jagt im Wald und geht dann in die Waldwirtschaft. Vielleicht das Optimum für meinen Onkel. Vielleicht der beste Teil der Welt, die Jägerei und die Waldwirtschaft.

4
    Noch hat J. den ganzen Nachmittag vor sich und vor allem den heutigen Feierabend. Gerade erreicht er Bad Vilbel. Die Wetterau scheint ihm schon entgegen, vielleicht ist es ein sonniger Tag. Links die Nidda, Spaziergänger, die haben alle nichts zu tun und spazieren schon um drei Uhr am Ufer entlang. Manchmal sieht J. einen Feldhasen. Dann springt er fast aus dem Sitz und hätte am liebsten seinen Feldstecher dabei, aber der ist zu groß. Ein alter Feldstecher, wie für die Jäger oder das Militär, abgegriffen und riecht auch schon sehr nach meinem Onkel (heute steht er im Schrank in der Uhlandstraße und riecht immer noch nach ihm). Man könnte auch einen Eisvogel sehen. Auch wenn der Zug gut fünfzehn Meter von der Nidda entfernt vorbeifährt, einen Eisvogel, wenn er am Uferrand auffliegt, würde man ohne weiteres erkennen. Vielleicht steht mein Onkel am Fenster und wartet auf den Feldhasen oder den Eisvogel. Vielleicht ist es im Jahr der Mondlandung, als er gerade in die Wetterau zurückkommt, in seine Heimat. Da war ich zwei. Deutschland im Jahr 1969, ein Land noch vor dem ersten Verkehrskollaps. Ein Land ohne Ortsumgehungsstraßen. Hin und wieder fährt nochein Pferdefuhrwerk auf der Landstraße. Wenige Jahre später fuhren dann schon alle Auto.
    Auch auf dem Mond würden sie schon bald nichts anderes im Sinn haben, als Auto zu fahren. Schon der siebte Mensch auf dem Mond war ein Autofahrer. Erst wollten sie bloß zum Mond, aber kaum waren sie da, wollten sie auch schon Auto fahren und brachten bald darauf das erste Auto mit. Sie hätten ja auch ein Kreuz mitbringen können oder eine kleine Kirche, zusammenfaltbar wie ihr Automobil oder ihre Lunafähre, wenigstens eine Madonna oder eine Reliquie hätten sie mitbringen können, oder zumindest den Ast irgendeines Baumes, als Zeugnis von der Erde, aber sie brachten lediglich Fotoapparate, Golfschläger und Autos mit, so waren sie.
    Immer wußten die Menschen nicht weiter, kaum waren sie irgendwo, sei es zu Hause, sei es auf dem Mond. Es war überall dasselbe, wo sie waren, mußte gleich etwas her,

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