Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
Vom Netzwerk:
1969 die Erde zum erstenmal aus der Distanz, und alle waren erstaunt und hielten das für einen Fortschritt und die Erde plötzlich für schön wie vorher zum Beispiel Marilyn Monroe. Die Erde wurde plötzlich telegen, man kann sie auf einmal fotografieren, die Magazine wollen das, endlich ein Motiv, die Erde als Motiv, und dann so blau, und auch so weiß, und überhaupt so schön. So war mein geburtsbehinderter Onkel J. nicht. Der hielt die Bilder von der blauen Erde ausschließlich noch für Fortschritt, die verwechselte er nicht mit dem deutschen Wald und dergleichen, da interessierte er sich eher für das Kameramodell, mit dem die Erde von außerhalb fotografiert wurde, und nicht für die Erde selbst. Anderen war sie plötzlich schön wie ein Schwan. J. aber hatte sein Naturempfinden nicht aus dem Fernsehen, auch wenn er Naturfilme schaute. Für meinen Onkel waren die Apollo-Raketen eine Art von Super-VW-Variant, daß das alles etwas mit Vogelsang und Feldern und Wiesen zu tun haben könnte (wie später für die Anhänger der apollogeschaffenen Idee vom blauen Planeten), war ihm noch nicht geläufig, und das hätte er auch nicht verstanden. Im Forsthaus Winterstein hat auch zur Zeit der Mondlandungen nie ein Fernseher gestanden. Und die Rehe dort und die Hasen und Füchse wissen von alldem ohnehin nichts.
    Mein Onkel kommt in die Wetterau zurück. Wie immer hat man kurz hinter Bad Vilbel, wenn es über Dortelweil geht, das Gefühl, alles sei plötzlich ein bißchen heller und der Himmel eine Spur blauer. Das ist das Wetterauer Blau, plötzlich ist es da und empfängt einen (das können aber nur die Wetterauer sehen, ich glaube, man braucht Jahre, bis man es erkennen kann – ich bin da aufgewachsen). So kommt man in die Wetterau. Eine Autobahn mit angeschlossener Ortsumgehung. Und im Sommer wird es gleich zweimal hell, das ist einmal der Raps, und dann ist es das Korn, das auf den Feldern steht und immer gelber wird, am Ende wird es sogar golden. Kurz vor Ende des Sommers ist die Wetterau dann eine völlig gelbe Landschaft mit einem völlig blauen Himmel darüber, und damals waren ja auch die Städte noch nicht so groß, allein schon Friedberg war nur halb so groß, als sie auf dem Mond herumfuhren, was man nicht mit bloßem Auge sehen konnte, nur vorstellen konnte man es sich: da oben fahren sie jetzt gerade mit einem Auto herum, lassen es dann stehen und fliegen wieder weg, um gleich ihre ganze Rakete wegzuwerfen, sie fliegt dann auf immer durchs All und immer weiter weg von der Erde und der Wetterau, die man auf keinem Foto des blauen Planeten erkennen kann, da müßte man schon näher heran. Erst an den Ausläufern des Taunus wird es wieder grün, da beginnt dann der Wald, die eigentliche Region meines Onkels. Draußen ist nun der hellste Moment des Tages, die Maschinen fahren gerade übers Feld, da hat mein Onkel natürlich nur Augen für sie. Vorne auf dem Feld sieht er eine besonders große Maschine, drei Bauern stehen um sie herum (ein anderer fährt gerade den Hänger weg), dann hat der Zug das Feld auch schon passiert, jetzt muß mein Onkel bereitsden Kopf nach hinten drehen, um die große Landmaschine noch zu sehen, da ist sie schon weg. Landmaschinen, wie sie früher überall als Modelle in den Spielzeugläden herumstanden, zur Einübung, ein Fendt, ein John Deere. Mit ihnen konnte man jederzeit Wetterauer Landwirtschaft spielen, auch wenn schon längst kaum mehr ein Wetterauer Landwirt wurde. Man konnte mit dem kleinen Spielzeugmähdrescher (für ein Kind ist er in Wahrheit riesengroß, wie ein Haus) über das eigene Gras im Vorgarten mähen und stellte sich dann vor, wie das Korn oben aus dem Rohr hinausschießt, genau in den Hänger hinein. Der Hänger steht ebenfalls im Vorgarten, als Modell. Ein Trecker steht auch da. Entweder mit Pflug, zusätzlich hinten angebracht, was aber sinnlos ist, denn der Trecker soll ja gerade den Hänger aufs Feld fahren, um das Korn zu holen, nicht um zu pflügen, aber als Kind will man immer alles gleichzeitig machen, und alle Technik muß möglichst gleichzeitig an ein und denselben Trecker angehängt werden, der damit gleich ein Supertrecker wird, und daher am liebsten noch die riesige Unkrautvertilgungsspritzmaschine gleich mit angebracht. Manchmal konnten sie sogar fliegen, die Trecker. Solange die Flugzeugmodelle die Wetterau noch nicht massenhaft erreicht hatten, mußten einstweilen die Treckermodelle zum Fliegen herhalten, bisweilen sogar mit Hänger, und auf

Weitere Kostenlose Bücher