Das Zimmer
damit sie es aushielten, die Menschen. Und sie waren doch sogar nur zwölf auf dem Mond. Und schon die hielten es nicht aus. Schon bei der dritten oder vierten Mondfahrt brauchten sie ein Auto, und beim ersten Mal waren sie noch glücklich gewesen, überhaupt einmal ausgestiegen zu sein, zu Fuß. Am Anfang waren sie noch Fußgänger gewesen, wie meine Urgroßmutter Else in der Wetterau, die Tag für Tag von Friedberg nach Nieder-Mörlen lief, sieben Kilometer hin und sieben Kilometer zurück. Am Anfang war es noch ein Fußschritt für die Menschheit, drei Jahre später (das war schon das Ende mit dem Mond, anschließend fuhren sie schon nicht mehr hin) war es bereits eine Fünfunddreißig-Kilometer-Sightseeing-Tour mit angeschlossenem Golfprogramm. Sie mußten oder wollten sogar Golf spielen da oben oder da unten (je nachdem). Das sind die Bilder, die die Menschheit angebetet hat: zwei weiße Figuren in der vollkommensten Einöde, die man sich denken kann. So öde, daß es auch die Studios von sonstwo sein könnten (nicht genügend Sand, um einen richtigen Berg zu bauen). Zwei einsame Menschen mitten im Irgendwo, angewiesen auf ein notdürftig zusammenimprovisiertes Gerät, eine Art Notnagel, um die große Einsamkeit bis zu einem Wieder-zu-Hause-Sein (was das für die wohl war?) zu überbrücken. Alle Apolloraketen warfen sie gleich wieder weg, das gehörte dazu. Sie starten und sind Müll. So denken Menschen, und das konstruieren sie. Da haben sie ein schlechtes Gewissen wegen der Vögel im Evangelium, weil sie so nicht leben wie die Vögel im Evangelium, und eifern vielleicht aus diesem schlechten Gewissen auch noch den Vögeln nach, wollen fliegen, und entfernen sich dadurch noch um so mehr von den Vögeln im Evangelium, so dreht sich immer alles im Kreis bei uns und abwärts. Und dabei hat doch jeder Tag seine eigene Last und seine eigene Mühe. Abwärts, das ist immerunsere Richtung, auch wenn es auf den Mond hinaufgeht. Menschen in der komplettesten aller Einöden, und wir himmelten das an im Fernsehen. Mein Onkel, hätte er einen Raumanzug angehabt, wäre er auf dem Mond gewesen, es hätte für ihn vielleicht sogar eine siegreiche Teilnahme mit seiner Panzerdivision am Rußlandfeldzug ersetzt. Ich sage vielleicht, denn sicher bin ich mir da nicht. Mein Onkel saß bei jeder Mondlandung vor dem Fernseher, ich ja sogar auch und erinnere mich noch daran, ich war gerade einmal fünf, da hatte es doch eben erst angefangen und hieß es schon wieder, es sei jetzt vorbei mit dem Mond. Für mich war die letzte sogenannte Mission (ein Wort, das ich als Kind eher im kirchlichen Zusammenhang kannte) schon völlige Routine, der Start war wahrscheinlich bereits mein vierter, die Mondautos baute währenddessen mein Bruder schon als Modell nach, auch die Apollorakete, zerlegbar in alle Stufen und mit herausholbarer Landefähre, einen Meter hoch ragte sie im Zimmer meines Bruders. Der Start im Fernsehen, und dann kamen Berichte über den Flugverlauf, und alle waren ab dem dritten oder vierten Flug gelangweilt, eigentlich wollte gar keiner mehr hinschauen, keiner verstand, warum noch dauernd darüber berichtet wurde, nonstop. Ich selbst war erst fünf und dennoch schon gelangweilt, aber natürlich nur, weil schon alle gelangweilt waren. Es war wie auf dem Mond. Dort mußte alsbald ein Mondmobilher, um es noch auszuhalten, und auch auf der Erde mußte schon bald wieder etwas ganz anderes als der Mond und die Leute auf ihm her, die Mondfahrerei hielt nicht lange vor. Ein Jahrzehnt angestrebt, gerade einmal drei Jahre praktiziert, dann waren alle gleich schon wieder angeödet, und sogar mein Onkel fand die alten Bergrettungsfilme mit Luis Trenker wieder spannender als die Mondlandungsübertragungen mit Expertenrunden und Expertisen in ARD und ZDF. Sogar er schaltete schon wieder um. Noch das Stahlnetz und der Kommissar hatten, summa summarum , länger vorgehalten als die Apollo-Fortsetzung auf dem Mond, der übrigens, wie ich mich zu erinnern meine, damals in all den Übertragungen nie romantisch besetzt war (trotz all der, wie es immer heißt, Liebenden unter ihm), weil nämlich plötzlich die Erde romantisch besetzt war, weil man sie nämlich zum erstenmal sah. Sie sahen die Erde zum ersten Mal, und alle meinten, es verändere alles, es verändere sie, die Betrachter, und es verändere die Welt (daß man sie sieht), und es veränderte natürlich nichts. Es war ja nur eine Fotografie. Es waren nur Medien. Die (wir) Menschen sahen
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