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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer
Autoren: Andreas Maier
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hineinschauen konnte, wenn man den Elefanten umdrehte. Das Schiff und der Elefant gehörten immer zusammen, und als drittes kam eine Schale aus hellgrünem Stein dazu, mit der ich ebenfalls auf dem Sofa spielte. Alles mußte für mich als Kind seinen Platz und seine Ordnung haben, die Gegenstände standen von jeher da, wo sie standen, und jedesmal, wenn ich in das Haus kam, waren sie dort, wo sie hingehörten. Es war wie bei meinem Onkel im kleinen. Auch er brauchte immer Ordnung, wie ich mit vier oder fünf Jahren. Und mein Wikingerschiff, das Kindheitsschiff, war bei ihm der Wehrmachtspanzer und die Bergrettung und ist es ein Leben lang geblieben, im Gegensatz zu mir, der ich mich nicht einmal mehr für die Mondfahrt interessierte und auch nicht für Carrera-Rennbahnen mit Fernsteuerung und Tempomesser. Aber diese drei Gegenstände sind immer noch eine Welt, und alles davon ist fort und nicht mehr am Platz und nicht mehr in seiner Ordnung, wie auch mein Onkel, undich muß jetzt in seinem Zimmer versuchen, alles wieder an seinen Platz zu räumen mit meinen eigenen Worten.
    Kaum war die Großmutter tot, wurde das Haus einer neuen Verwendung zugeführt. Nichts blieb. Nur das Haus. Als ich es sieben Jahre später, 1999, erstmals wieder betrat, war ich erschrocken, ehrlich gesagt fast zu Tode. Seitdem hat dieses Haus mein Leben bestimmt. Dieses Haus, der Ort, die Straße, die Wetterau, und vor allem das Zimmer, in dem ich das hier schreibe. Und ich war ein Kind und lief durch das Haus und verliebte mich in es, in diese Mischung aus Tod und Leben, in dieses Haus, das schon damals zum großen Teil nur aus Erinnerung an die bestand, die vormals darin gelebt hatten. Das Haus in der Uhlandstraße war das, was da war, bevor meine Eltern kamen und das Haus im Mühlweg. Das Haus in der Uhlandstraße war wie aus einer anderen Welt in die Gegenwart versetzt. Ein Haus der Stille, kein Haus des Lebens. So lief ich durch das Haus, auch nach oben, zum Buchregal, wo ich immerfort die Reiseerzählungen aus den Reader’s Digest-Heften meiner Großmutter las. Auch ich träumte ja als Kind, nicht nur mein Onkel. Er träumte von der Bergrettung, ich sogar von der weiten Welt in den Reader’s Digest-Heften. Solange alles in Ordnung und noch unberührt war, ging das noch. Ich lief nach oben, holte mir ein Heft und setzte mich damit auf das Sofa (eswar die Zeit, als meine Großmutter mir auch erstmals Weinbrandbohnen und Eierlikör gab, mit fünf oder sechs). Ich lebte in diesem Haus offenbar frei und war glücklich in dieser bodenlosen Melancholie (zu Hause konnte ich es nicht einmal mehr ertragen, mit einem anderen Geschwister gemeinsam in einem Raum sein zu müssen), aber dann ging oben die Tür auf, und der Onkel kam aus seinem Zimmer heraus, und alles wurde anders.
    Aber noch bin ich, jetzt an diesem Tag meines Onkels J., erst zwei Jahre alt und gar nicht zugegen. Onkel J. befindet sich in unentschiedener Laune, als er aus seinem Zimmer kommt. Es stehen ihm sowohl Tätigkeiten bevor, die er unwillig ausführen wird, als auch Unternehmungen, auf die er sich freut. In solchen Zuständen war er meist wie ein köchelnder Vulkan, der sich je nach dem vorübergehend abkühlen und dann wieder erhitzen konnte. Zum Beispiel kommt er hinunter und will mit großen Ernst darangehen, den Variant aus der Garage zu fahren, denn nachher muß er ja die Ursel abholen. Er ist gut gelaunt, das Auto, die Welt, alles stimmt, ein Leben. Da sagt seine Mutter, er habe sich noch nicht geduscht. Der Vulkan beginnt zu köcheln (wieder verengen sich die Augen, kaum mehr zu sehen unter den Brauen, das geht von einem Augenblick auf den nächsten). Ein Disput entsteht, der mit einem Vergleich beendet wird: Er duscht sich, nachdem er den Variantaus der Garage herausgefahren hat. In Ermangelung einer Uniform zieht J. seine Jacke an, und gern hätte er auch zeremoniell den Autoschlüssel von einem eigens dafür vorgesehenen Schlüsselbrett genommen, aber der Schlüssel befindet sich lediglich an seinem Schlüsselbund in seiner Hosentasche, also muß diese Zeremonie entfallen. J. öffnet die Tür, sperrt sie fest, geht hinaus, schaut sich um, der Zuweg, die Garage, das Hoftor, alles noch da. Bevor er nun die Garage öffnet, läuft er zum Hoftor, denn selbstverständlich muß aus irgendwelchen Gründen zuerst das Hoftor geöffnet werden. Während er das Schwenktor öffnet, ist der Vulkan völlig erloschen, nur Freude ist da, da aber öffnet seine Mutter das Küchenfenster
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