Das Zimmer
bestanden. Gang raus, Kupplung treten, zünden. ZÜNDUNG! Fast ein Countdown. Der Wagen räuspert sich, gerät dann in ein rhythmisches Geräuscherzeugen, es klingt wie ein schwerfälliger Husten, der Variant beginnt zu vibrieren, jetzt verschluckt er sich, kommt in Schwingung, beginnt erneut zu husten, aber diesmal wie belegt, dann stottert er sich zur Betriebsbereitschaft und läuft nun. Zündung erfolgt. Jetzt ergreift Onkel J. das Lenkrad seines VW-Variant. Ein Pilot. Mit Blick in sämtliche Spiegel rollt nun zur Vorbereitung des weiteren Tagesverlaufs der Variant über die Garagenschwelle, Vorderhaube schon draußen, jetzt passiert mein Onkel den Torrahmen, schon ist er auf Höhe der Eingangstreppe, zwei Meter noch, dann stoppt er, kuppelt aus und betätigt die Handbremse. Der Variant steht nun in der Hofeinfahrt. Fünf Meter hat er zurückgelegt. Nichts genießt J. so sehr wie das Motorengeräusch, sein Lebensgeräusch (später, am Ende seines Leben, hustete er ganz ähnlich wie das Automobil). Mein Onkel macht vermutlich jetzt, was ich später so oft bei ihm gesehen habe, ähnlich wie es Motorradfahrer machen, begeistert von ihrer Maschine, oder Menschen mit einem Sportcabrio. Er steigt nämlich aus und läßt den Motor erst noch weiterlaufen. Er geht um den Wagen herum, betrachtet ihn, dann geht er nach hinten und schließt mit gewichtiger Geste und ganz offiziell die Garage. Die Wagentür steht derweil offen. In geheimer, geradezu mythischer Verbindung steht er jetzt mit dem Variant, J. hier am Garagentor und da vorn, fünf Meter entfernt, der Wagen, der läuft. Er läuft seinetwegen, da vorn. Wartet auf ihn. Ist seiner. Seine Maschine. Wie sie läuft! Wartet, wie es weitergeht. Bis er wieder einsteigt, wartet sie, seine Maschine. Fast lebendig. Und er steht ein bißchen weiter weg und ist, nein, nicht begeistert, sondern ergriffen. Beide gehören zusammen, unmittelbar, geradeim Augenblick der Trennung, er hier, der Variant da. Läuft seinetwegen, bis er ihn ausmacht. Wird gleich geschehen. Aber noch nicht sofort. Erst noch, zum Beispiel, die Scheibenwischer anheben und ganz genau prüfen. Und die Radkappen, sitzen alle richtig und fest? Noch einmal um das Auto herum. Dann steigt er wieder ein, rückt sich zurecht, ordnet seinen Polohemdkragen, schaut auf die Nachbarin, wie sie schaut, und schaltet seine Maschine ab. Sie steht nun im Hof und ist gut vorbereitet für alles Weitere, und die ganze Zeit bis zum eigentlichen Aufbruch wird er stets wissen, daß sie dort draußen steht, bereits vorbereitet, alles in Ordnung und eigentlich perfekt, alles ist gut.
Wie von einem großen Erlebnis kommt mein Onkel ins Haus zurück, steht unschlüssig im Vorraum und strebt dann zum Keller. Er wird dort ein wenig arbeiten. Wichtige Sachen will er dort unten tun, gerade heute, auch wenn er nur wenig Zeit hat. Das ist ihm gerade eingefallen. Der Pilot in seiner Werkstatt. Muß noch etwas verbessern. Noch letzten Schliff. Du hast dich aber noch nicht gewaschen, sagt seine Mutter. Nervöses Zucken im Gesicht des Onkels, wieder ergießt sich Lava in sein Gemüt. Der Disput verschärft sich nun. Wobei die Großmutter niemals sagen würde, daß er unreinlich sei bis zum Gestank. Sie hielt es bei ihm mit dem Waschen immer so, daß sie körperliche Reinigung als einen bloßen Akt der Anständigkeit darstellte, ohne in die Details zu gehen. Ich weiß ja bis heute nicht, ob mein Onkel wußte, wie er roch. Du kannst doch nicht auf den Friedhof gehen, wenn du dich nicht gewaschen hast, konnte sie sagen. Oder: Du mußt dich doch gewaschen haben, wenn du die Ursel abholst! Warum er sich bis dahin gewaschen haben mußte, wußte er vielleicht gar nicht. Jetzt sei doch ordentlich und geh dich waschen, dann fühlt man sich auch gleich ganz anders. Mein Onkel konnte sich nur geschlagen geben, jaja zischeln und schließlich verständnislos zur körperlichen Reinigung schreiten, und ich habe noch das Bild vor mir, wie die Großmutter in den späteren Jahren, wenn J. ausgegangen war, in den Keller hinabstieg, um dort seine liegengelassene Wäsche schnell und routiniert zu einem Paket zusammenzuraffen, sofort in die Waschmaschine zu stopfen, diese anzuschalten und im selben Atemzug sämtliche Fenster zu öffnen. Nun aber, im Jahr der Mondfahrt, existiert noch gar kein Badezimmer im Keller (der Schwager wird es erst in den folgenden Jahren in Auftrag geben), nur die kleine Werkstatt ist schon eingerichtet aus Resten und Abfällen der großen
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