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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Firma Steinwerke Karl Boll in Friedberg in der Wetterau, Mühlweg 12. Daher steigt J. in den ersten Stock. Ob er sich im Badezimmer duschte oder lediglich in seinem Darkroom am Waschbecken wusch, weiß ich nicht. Zumindest kommt er nach einer Weile herunter, vorläufig sauber, ordentlich gekämmt, nicht weniger vorzeigbar als früher als Jugendlicher, als er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jungen Glenn Gould hatte, und mit einem neuen, graubraunen Polohemd angetan. Er ist nun voller Schwung und guter Laune und freut sich auf das Forsthaus Winterstein, wenngleich er zunächst noch einmal widerwillig sämtliche Aufträge von seiner Mutter repetiert bekommt. Als da wären Blumensiebert, Friedhof, Ursel, Einkaufen und Friseur. Noch einmal erklärt sie ihm, in welcher Reihenfolge alles am besten zu erledigen wäre, und er sagt dazu nur leise jaja.
    Und nun ist er bereits am Gartenzaun, öffnet das Tor, sitzt im Variant, und während er aus der Einfahrt hinausfährt, sieht er, wie seine Mutter wie immer am Küchenfenster steht und ihm zum Abschied winkt. Er winkt ebenfalls. Das Winken hatte bei beiden stets dazugehört. Noch etwas mitnehmen auf den Weg. Das Winken die ganze Zeit mitnehmen, solange man weg ist. Als könne man das Winken noch über eine ganz große Distanz sehen (dazu war es ja ursprünglich auch da). So bleibt die Verbindung immer hergestellt zwischen ihnen, eben wie bei der Ente auf dem Bad Nauheimer Kurteich und ihrem Entenjungen.
    Jetzt biegt er auch schon nach links auf den Eleonorenring ab. Nun ist er ganz allein. Nach hundert Metern kommt die Ampel, da stehen sie zu zweit undbald schon zu dritt. Drei Autos warten an der Ampel, daß sie weiterfahren dürfen, mit Menschen darin, sie schauen auf das rote Licht und warten. Alles hat seinen Ablauf und seine Ordnung, man muß es erst einmal lernen. Die Berechtigung erwerben. Ein kompliziertes System. Nun springt die Ampel auf Rot und Gelb. Die drei Autos wissen, gleich dürfen sie weiter. Mein Onkel hat alles genau gelernt, er muß warten, bis das gelbe Licht zum roten dazukommt, und dann wird es auf das grüne Licht umschalten, da kann man dann losfahren und hat sich beim gelben Licht schon innerlich darauf vorbereitet. Das gelbe Licht ist das Warte-Licht, es sagt, jetzt darfst du bald. Es duzt einen. Im Automobilverkehr wird immer geduzt. Man duzt die anderen im Geist, man wird von der Ampel geduzt, und wenn man jemandem ins Auto fährt, duzt der einen auch gleich. Und wenn man, wie mein Onkel jetzt, nach Friedberg fahren will, also nach rechts, muß man den Blinker nach oben drücken, denn oben bedeutet beim Blinker rechts. Links ist unten, rechts ist oben. Höhere Mathematik. So ist mein Onkel ein hochausgebildeter Automobilpilot und fährt unter Ampelbeachtung und hier ein Pedal drückend und da ein Pedal drückend und nach vorn und nach hinten schauend quasi mutterseelenallein die zwei Kilometer lange Straße nach Friedberg, an der links und rechts nichts liegt außer Feldern und von der man überall in die Wetteraublicken kann. Zwischen Bad Nauheim und Friedberg ist im Jahr der Mondlandung noch gar nichts außer der Bahnstrecke, man kommt komplett über Land. Nur ein Bushaltestellenhäuschen in der Mitte zwischen beiden Orten. Da steht aber niemand. Wer da stünde, käme aus Schwalheim, wäre unter der Bahntrasse hindurchgelaufen und befände sich auf dem Weg nach Friedberg. Macht aber keiner. Den Busverkehr nimmt keiner in Anspruch (in meinem ganzen Leben wird da fast nie einer stehen, nie wollte jemand zu Fuß von Schwalheim zur Bushaltestelle und dann weiter; alle blieben lieber gleich zu Hause oder fuhren später mit dem Auto, als sie endlich eins hatten). Oben der Himmel in seinen ganz verschiedenen Farben und Wolkengestalten, blau, gelb, grau oder rot, rechts der Taunus, dazwischen Korn, Raps, ein paar Apfelbäume, hin und wieder eine Katze, hin und wieder ein Reh, hin und wieder ein Automobil, einsam durch die Dämmerung mit eingeschaltetem Licht oder heran in flirrender Spätsommerhitze zwischen den abgeernteten Feldern, zum Beispiel mein Onkel, der jetzt aber Friedberg auch schon erreicht hat, beim Blumensiebert auftragsgemäß die Blumen holt und dann vor dem Friedhof auf der Straße parkt. Einen eigenen Parkplatz besitzt der Friedhof noch nicht.
    Mein Onkel öffnet das Friedhofsgatter und geht dienstbeflissen an der Friedhofsmauer entlang bis zuder Stelle, wo wir liegen, stellt die Blumen ab, dann geht er zum Wasserhahn, nimmt sich eine

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